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Roboter-Kannibalen die sich fortpflanzen

Von künstlicher Intelligenz zu künstlichem Leben? Forschende der New Yorker Columbia University entwickeln eine neue Robotergeneration. Die ahmt nicht nur das Denken, sondern auch den Stoffwechsel von Lebewesen nach.

Werden Roboter sich eines Tages fortpflanzen, indem sie sich kannibalisieren? | © Shutterstock
Werden Roboter sich eines Tages fortpflanzen, indem sie sich kannibalisieren? (Bild: Shutterstock)

Von aussen betrachtet wirken sie unscheinbar: längliche Module mit Magnetverbindern und kleinen Motoren, kaum grösser als ein Lineal. Doch was sich daraus bauen lässt, könnte die Robotik revolutionieren. Forscherinnen und Forscher der Columbia University haben eine neue Roboterplattform entwickelt, die sich selbst zusammensetzen, umbauen, reparieren und sogar wachsen kann – indem sie Teile aus ihrer Umgebung oder von anderen Robotern aufnimmt. Die Vision der Wissenschaftler: eine «robotische Ökologie», in der Maschinen nicht nur funktionieren, sondern sich aktiv weiterentwickeln – ähnlich wie Lebewesen.

Roboter wie Organismen

Biologische Organismen sind offene Systeme: Sie nehmen Energie und Material auf, verarbeiten es und geben Abfallstoffe ab. Genau dieser Stoffwechsel – die Fähigkeit zu wachsen, sich zu regenerieren und zu replizieren – fehlt heutigen Robotern. Zwar ist die künstliche Intelligenz in der Lage, immer komplexere Entscheidungen zu treffen, doch die Hardware bleibt statisch. Roboterkörper sind heute meist monolithisch, nicht anpassbar, nicht reparaturfähig.

 

Das neue Konzept des «Robot Metabolism» will das ändern. Dabei geht es nicht nur um Selbstreparatur oder 3D-Druck, sondern um einen materiellen Stoffwechsel: Maschinen sollen ihre physische Form autonom verändern können – ohne menschliche Hilfe und ohne externe Fertigungsanlagen. Nur Energie und kompatible Roboterteile dürfen von aussen kommen.

Aus «Truss Links» bestehender Roboter der Columbia University. | © Columbia University
Aus «Truss Links» bestehender Roboter der Columbia University. (Bild: Columbia University)

Truss Links: Bausteine des Roboterlebens?

Herzstück dieser Entwicklung ist der sogenannte «Truss Link» – ein modularer Roboterbaustein, der sich verlängern, verkürzen, an andere Module anheften und wieder lösen kann. Über magnetische Verbinder lassen sich beliebige Strukturen bauen: Linien, Dreiecke, Tetraeder und mehr. Mehrere Truss Links zusammen ergeben bewegliche Konstruktionen, die krabbeln, klettern und sich neu konfigurieren können.

 

Der Clou: Diese Module sind nicht starr programmiert, sondern können im Verbund lernen, wie sie sich effektiver bewegen oder neu zusammensetzen. So entstehen aus einzelnen Gliedern komplexere Roboter mit neuen Fähigkeiten – ganz ähnlich wie aus Zellen ein Organismus wächst.

 

In einer Versuchsanordnung zeigten die Forschenden, wie sieben Truss Links in mehreren Etappen zu einem funktionalen Roboter heranwachsen: Zunächst bilden drei Module eine Sternform, drei andere ein Dreieck. Diese beiden Strukturen verbinden sich zu einem «Diamanten mit Schwanz» – eine Figur, die wiederum in der Lage ist, sich über eine Kante zu falten und einen stabilen 3D-Tetraeder zu bilden.

 

Doch damit nicht genug: Der fertige Roboter entdeckt einen separaten Truss Link, integriert ihn und entwickelt sich zu einem «Ratchet-Tetraeder» – einer besonders beweglichen Form, die sich schneller fortbewegen kann als alle vorherigen Stadien. In Simulationen und realen Experimenten zeigte sich: Diese Form kriecht bis zu 66 Prozent schneller als ihre Vorgänger.

 

Wie lebende Organismen können die modularen Roboter auch auf Verletzungen reagieren. Wenn bei einem Sturz eine Verbindung bricht, versuchen die Module, ihre ursprüngliche Struktur wiederherzustellen – und das teilweise mit Erfolg. In einem weiteren Experiment verlor ein Tetraeder-Modell durch einen simulierten Stromausfall eines Moduls einen Teil – ersetzte diesen aber durch einen herumliegenden, funktionsfähigen Truss Link. Solche Experimente deuten darauf hin, dass Roboter der Zukunft in der Lage sein könnten, beschädigte Teile gezielt abzuwerfen, zu ersetzen und sich dabei selbst neu zu konfigurieren – ähnlich wie ein Salamander sein Bein nachwachsen lässt.

Kooperation statt Einzelkämpfer

Besonders spannend: Die Truss-Roboter können sich auch gegenseitig helfen. In einem Experiment half ein fertiger Ratchet-Tetraeder einem flach liegenden Roboter beim Aufrichten. Durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel – fast wie ein Kran – wurde die Struktur hochgehoben, konnte sich entfalten und zur nächsten Tetraeder-Form werden. So entsteht eine Art kooperativer Replikation – der erste Schritt zu einer autonomen «Maschinenpopulation».

 

Noch ist das System ein Prototyp. Die Module sind vergleichsweise gross und werden manuell über Tastatur gesteuert. Kommunikation zwischen Modulen, Sensorintegration und dezentrale Steuerung stehen noch am Anfang. Auch die reale Umgebung stellt die Simulationen regelmässig vor Herausforderungen. Doch das Team sieht darin keinen Show-Stopper, sondern das typische Bild am Anfang einer neuen Technikgeneration. In Zukunft sollen kleinere, massenproduzierbare Module mit eigener Sensorik und intelligenter Steuerung die Plattform zu einem echten «künstlichen Ökosystem» weiterentwickeln.

Kreislaufwirtschaft der Maschinen

Als Anwendungsgebiete sehen die Forschenden autonome Systeme, die sich selbst versorgen, warten und anpassen können – etwa in Katastrophengebieten, auf dem Meeresgrund oder im Weltraum. Systeme, die ihre Form anpassen, um Hindernisse zu überwinden, oder sich aus beschädigten Teilen wieder zusammensetzen. Nicht zuletzt könnten solche modularen Systeme auch nachhaltiger sein: Statt defekte Roboter wegzuwerfen, liessen sich einzelne Teile ersetzen, umbauen oder recyceln – ganz im Sinne einer «Kreislaufwirtschaft der Maschinen».

 

Originalveröffentlichung

Zürich 01.10.2025
Beitrag von: Hendrik Thielemann

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