Schweizer Telemetrie für die sparsamsten Autos der Welt
Wenn Studierende beim Shell Eco-Marathon ihre Prototypen ins Rennen schicken, geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Effizienzrekorde. Marco Schmid ist immer dabei: Seine Firma liefert die Telemetrie für alle Fahrzeuge.
Wie weit kommt man mit einem Liter Benzin? Der polnische Rallyefahrer Miko Marczyk legte im April mit einem serienmässigen Skoda Superb fast 2900 Kilometer mit einer Tankfüllung zurück, also etwas mehr als 40 Kilometer mit einem Liter. Über solche Zahlen können die Studierenden, die am Shell Eco Marathon teilnehmen, nur müde lächeln. Ihre Prototypen sind viel sparsamer. Sie könnten mit der Energiemenge, die in einem Liter Benzin enthalten ist, mehrere Tausend Kilometer weit fahren.
Der Shell Eco-Marathon ist ein internationaler Wettbewerb für Studierende, bei dem es nicht um Geschwindigkeit, sondern um maximale Energieeffizienz geht. Teams aus aller Welt entwickeln ultraleichte Prototypenfahrzeuge, die mit möglichst wenig Energie möglichst weit fahren sollen. Als Energieträger kommen Benzin, Diesel, Ethanol, Wasserstoff oder auch elektrische Energie zum Einsatz – die Ergebnisse werden in eine einheitliche Grösse umgerechnet, zum Beispiel Kilometer pro Liter Benzinäquivalent. Rekorde von über 1000 Kilometern pro Liter sind in Europa keine Seltenheit und zeigen, wie gross die Effizienzpotenziale jenseits klassischer Serienfahrzeuge sind. Der Shell Eco-Marathon ist damit sowohl eine Spielwiese für angehende Ingenieur:innen als auch ein Schaufenster für die Mobilität der Zukunft.
Ein Telemetriesystem in acht Wochen
Marco Schmid ist immer mit dabei, wenn die Studierenden-Teams auf dem Indy-500-Speedway in Indianapolis, auf dem F1-Lusail-Track in Katar oder dem polnischen Silesia-Ring an den Start gehen. Schmid ist Mitglied von Swiss Engineering und Geschäftsführer sowie Entwicklungsleiter der Firma Schmid Elektronik in Münchwilen. Als Partner des Eco-Marathons stellt das Unternehmen die Telemetrie für alle teilnehmenden Fahrzeuge bereit
Wie kommt ein KMU aus dem Thurgau zu so einer Rolle im internationalen Wettbewerb? Alles nahm seinen Anfang im Jahr 2015. «Damals bekamen wir einen Anruf: Shell brauchte in acht Wochen ein Telemetriesystem, einsatzbereit auf der Rennstrecke in Manila», erinnert sich Marco Schmid. Eine solche Herausforderung hatte noch niemand an die Firma gestellt. Und dann auch noch Shell. Das war schliesslich nicht irgendjemand. «Als der Anruf gekommen ist, dachte ich spontan, das ist gar nicht möglich, das schaffen wir nicht. Aber dann habe ich gehört, was das für eine Community ist und welch relevanten Beitrag sie für eine nachhaltige Energie- und Mobilitätszukunft liefert, und gesagt: Das müssen wir machen», erzählt Schmid.
Wie waren die Verantwortlichen beim ÖL-Multi ausgerechnet auf das Ostschweizer KMU gekommen? Schmid Elektronik entwickelt und produziert hochkomplexe Elektroniksysteme in kleinen Losgrössen. Die Kunden wiederum sind hoch spezialisiert in ihren Nischen, beispielsweise im Präzisionsgerätebau und im Energie- und Transportbereich. Sie stehen oft vor kniffligen Mess- und Regeltechnikaufgaben. Das KMU gehört zu den Schweizer «Hidden Champions». «Unsere Kunden kennen uns, sonst niemand», sagt Marco Schmid. Aber das reichte in diesem Fall: Schmid Elektronik ist Partner von NI, einem Global Player im Bereich der Test- und Messtechnik, der heute zum Fortune-500-Konzern Emerson gehört. Shell hatte sich mit seinem Telemetrieproblem an NI gewandt. «Und dort wusste man aus früheren Projekten, dass wir in der Lage sind, Projekte wie dieses in Rekordzeit zu stemmen», berichtet Marco Schmid.
Das unmöglich geglaubte gelang: Schmid Elektronik brachte in kürzester Zeit ein funktionierendes Telemetriesystem auf die Rennstrecke. Der erste Auftrag war erfolgreich abgeschlossen, doch die Verantwortlichen bei Shell merkten schnell, wie kompliziert die Materie ist. Und eigentlich brauchten sie ja kein Telemetrie-Know-how, sondern nur die Daten. Shell beauftragte Schmid Elektronik, fortan die Telemetrie für den Marathon «as a Service» bereitzustellen. So wurde aus einem Projekt ein neues und nachhaltiges Geschäftsmodell.
Vom Geschäftsführer zum Techniker …
Seit 2016 ist Marco Schmid dreimal im Jahr selbst vor Ort auf der Rennstrecke. «Da bin ich kein Geschäftsführer. Ich bin ein normaler Renntechniker. Diesen Rollentausch finde ich mega spannend und bereichernd», berichtet der Ingenieur. Bei seinen Einsätzen auf den Rennstrecken habe er viel dazu gelernt über Effizienz, über Abläufe, über Leadership, über Nachhaltigkeit.
Zwei Tage vor dem Start des Eco-Marathons reist das Team von Schmid Elektronik mit rund 50 Telemetriesystemen im Gepäck zur jeweiligen Rennstrecke. Vor Ort erklären die Ingenieure den teilnehmenden Studierenden die Technik, übergeben die Geräte und begleiten den Einbau in die einzelnen Fahrzeuge. Ob die Systeme korrekt arbeiten, wird später bei der technischen Inspektion überprüft. Die Messgeräte erfassen nicht nur Verbrauchs- und GPS-Daten, sondern – je nach Antriebsart – auch Parameter wie die Motorraumtemperatur oder den Zustand der Superkondensatoren bei Wasserstofffahrzeugen.
… und vom Auftragnehmer zum Partner
Inzwischen geht das Engagement von Schmid Elektronik weit über die Rolle des Auftragnehmers hinaus. Die Firma ist offizieller Technologiepartner der Veranstaltung. Dafür muss Schmid Leistungen einbringen, die nicht verrechnet werden können. «Das ist nicht wenig», sagt Schmid. Doch das Engagement lohne sich. Als Partner darf Schmid Elektronik ein prestigeträchtiges Kombi-Logo verwenden, welches schon oft als Türöffner für neue Projekte diente: ein Mix aus der bekannten Shell-Muschel und dem Schmid-Logo. Das Schmid-Logo wiederum ist im Umfeld des Eco-Marathons allgegenwärtig. Dazu kommt das Know-how, das die Firma auf der Rennstrecke sammelt und in andere Geschäftsbereiche transferieren kann. Und nicht zuletzt die Kontakte zu Unternehmen und Geschäftsleuten, die, so Schmid, «in der Champions League spielen».
Von der Partnerschaft profitieren beide Seiten. «Das, was wir beim Eco-Marathon gelernt haben, haben wir in die Firma zurückgespeist. So haben wir uns mit der Telemetrie einen Technologiebereich erschlossen, zu dem wir vorher wenig Zugang hatten», sagt Marco Schmid. Und von der Erfahrung, die er auf der Rennstrecke gesammelt hat, profitieren auch die Mitglieder von Swiss Engineering. In einem «Bootcamp» hat Schmid interessierte Mitglieder in datengetriebener und AI-gestützter Renntechnologie geschult und wie sich das Gelernte in eigenen Projekten anwenden lässt. «Das Ganze ist ein Closed Loop und ich bin überzeugt: Swiss Engineering gibt mir etwas zurück, das ich dann beim Shell Eco-Marathon brauchen kann.»
Ein Labor voll frischer Ideen
Dass der Shell Eco-Marathon auch im Hinblick auf die Ausbildung von Ingenieur:innen und auf die Entwicklung neuer Technologien etwas bringt, ist für Marco Schmid ohnehin klar: «Der Shell Eco-Marathon ist für mich ein Labor voller frischer Ideen. Studierende entwickeln Lösungen, die es so noch nicht gibt – oft noch unausgereift, aber kreativ und mutig umgesetzt. Wir erfahrenen Techniker bringen unser Wissen ein, geben Tipps und arbeiten mit den jungen Teams im Yin-Yang-Stil zusammen. Diese Inspiration und der Austausch sorgen dafür, dass viele dieser Ideen später ihren Weg in die Industrie finden – vielleicht in fünf oder zehn Jahren.»
Beitrag von: Hendrik Thielemann
Bildquelle: Shell Eco Marathon