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Kollege Roboter übernimmt

Humanoide Roboter sollen demnächst in Serie produziert werden und bis 2030 menschliche Fähigkeiten in Geschwindigkeit, Flexibilität und Feinmotorik übertreffen. Schon bald könnten die ersten von ihnen Seite an Seite mit Menschen in der Industrieproduktion arbeiten.

Science-Fiction, Public Relations, Test oder Arbeitsalltag? Apptronik-Roboter Apollo unterwegs im Mercedes-Werk. | © Apptronik/Mercedes Benz
Science-Fiction, Public Relations, Test oder Arbeitsalltag? Apptronik-Roboter Apollo unterwegs im Mercedes-Werk. (Bild: Apptronik/Mercedes Benz)

Das hätte sich Dr. Frankenstein in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können: einen Roboter, der aussieht wie ein Mensch. Der Android macht nach, was ihm eine junge Chinesin vormacht. Er bewegt seinen Kopf. Er blinzelt mit den Augen, verzieht sein von winzigen Motoren angetriebenes Silikongesicht und streckt die Zunge heraus.

 

Bei EX-Robots in Dalian an der Nordostküste Chinas entwickeln Ingenieure humanoide Roboter, die ihrem menschlichen Gegenüber Emotionen vorgaukeln sollen. EX-Robots-Geschäftsführer Li Boyang sieht für seine rund 250'000 Franken teuren Roboter Einsatzmöglichkeiten in Dienstleistungsberufen: Sie könnten Alte und Kinder betreuen und Patienten mit psychischen Störungen beraten. Allerdings erst in einer Zukunft, der Zeitpunkt der Geschäftsführer nicht genauer festlegt. Bisher werden die Roboter hauptsächlich in Museen ausgestellt.

Serienproduktion schon nächstes Jahr?

Bis uns die ersten EX-Robotics-Androiden auf der Strasse, in der Arztpraxis oder im Altersheim begegnen, dürfte es noch ein bisschen dauern. In der industriellen Produktion könnten humanoide Roboter deutlich früher ihre Arbeit aufnehmen: «Wir gehen davon aus, dass bis 2025 humanoide Roboter für den industriellen Einsatz in Serie produziert werden», heisst es in einer Studie der Unternehmensberatung Horváth aus dem März dieses Jahres. «Ihre physische Ähnlichkeit mit Menschen ermöglicht es ihnen, Aufgaben zu übernehmen, die bisher menschlichen Mitarbeitenden vorbehalten waren. Ob in der Logistik, der Produktion oder im Service – die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig», sagt Horváth-Experte Tobias Bock über die mechanischen Arbeitskollegen der Zukunft.

 

Vor allem in der Automobilindustrie sehen die Horváth-Berater grosses Potenzial für humanoide Roboter: «Wir gehen von einem Automatisierungspotenzial von mehr als 50 Prozent bei direkten wertschöpfenden und nicht wertschöpfenden Tätigkeiten aus», schreiben sie in ihrer Studie. Anfangs werde das Potenzial überwiegend in logistischen Tätigkeiten liegen, mit der Weiterentwicklung der Technologie würden dann auch hoch anspruchsvolle Montagetätigkeiten von den Robotern übernommen. Bis 2030 werde es hochflexible humanoide Roboter geben, die dem Menschen in der Feinmotorik überlegen sind. Den Preis eines solchen Androiden im Jahr 2030 schätzen die Horváth-Berater auf 48'000 Euro.

 

Derzeit arbeiten weltweit mindestens 20 Unternehmen an humanoiden Robotern für den industriellen Einsatz. Einige haben angekündigt, noch in diesem Jahr einsatzfähige Modelle auf den Markt zu bringen. Da äussern selbst die optimistischen Macher der Horváth-Studie leise Zweifel, wenn sie konstatieren: «Über den Reifegrad halten sich die meisten Unternehmen sehr bedeckt.»

 

Einer, der nicht dafür bekannt ist, sich bedeckt zu halten, ist Elon Musk. Er kündigte im Juni an, dass zwei humanoide Tesla-Optimus-Roboter testweise Aufgaben in der Fabrik übernehmen werden. Um welche Aufgaben es sich dabei genau handelt, bleibt unklar. Die Ankündigung war Teil einer Reihe von Meilensteinen, mit denen Tesla seine Aktionäre überzeugen wollte, erneut für ein milliardenschweres Vergütungspaket für Firmenchef Musk zu stimmen. Bis Ende 2025 sollen die Roboter auch anderen Unternehmen zum Kauf angeboten werden. Musk betonte, dass Optimus langfristig wertvoller sein werde als alle anderen Tesla-Projekte.

Der Hype ist auf dem Höhepunkt

Das Beispiel Tesla ist bezeichnend für die aktuelle Situation: Der Hype um die humanoiden Roboter hat seinen Höhepunkt erreicht. Die Fortschritte sind riesig, ebenso die Erwartungen. Noch grösser ist nur noch der Geldbedarf derer, die an ihnen arbeiten. Mit vollmundigen Ankündigungen, computergenerierten Videos und allerlei heisser PR-Luft versuchen die Unternehmen, den potenziellen Investoren das Geld aus den Taschen zu ziehen. Selbst Experten fällt es da schwer, hinter die Kulissen zu blicken.

 

Vor allem die Automobilindustrie zeigt Interesse am Einsatz humanoider Roboter. Die Branche ist es gewohnt, ihre Produktion mit Milliardeninvestitionen zu optimieren. Da sind die Androiden vielversprechend. Ihr Vorteil: Anders als herkömmliche Industrieroboter könnten sie menschliche Werker ersetzen, ohne dass die Produktion komplett umgestaltet werden müsste.

 

Mercedes-Benz kooperiert beispielsweise mit dem amerikanischen Unternehmen Apptronik. Dessen Roboter Apollo soll demnächst versuchsweise Komponenten und Montagesätze an die Produktionslinie bringen. Apollo ist etwa so gross wie ein menschlicher Arbeiter. Der Roboter ist für den Einsatz in industriellen Umgebungen an der Seite von Menschen konzipiert. Seine Steuerung gewährleistet laut Hersteller einen sicheren Betrieb in der Nähe von Menschen, während er gleichzeitig körperlich anspruchsvolle Aufgaben übernimmt. Das kalifornische Unternehmen Figure will seinen humanoiden Allzweckroboter Figure 01 im BMW-Werk in Spartanburg, South Carolina, testen. Der Figure-Roboter erregte vor einigen Monaten Aufsehen, als er in einem Firmenvideo bemerkenswerte Sprachfähigkeiten an den Tag legte – das Ergebnis einer Zusammenarbeit mit OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT.

Grapschender Android

Personaler sollten sich nicht zu früh freuen. Nicht alle menschlichen Probleme sind mit dem Einsatz humanoider Roboter automatisch gelöst. So kam es kürzlich auf der Messe DeepFest in Riad zu einem Eklat, als «Mohammed», der erste humanoide Roboter Saudi-Arabiens, während einer Live-Übertragung der Fernsehmoderatorin Rawya Kassem an den Hintern griff. In den sozialen Medien entbrannte daraufhin eine Diskussion darüber, ob dies «absichtlich» geschah und ob der Roboter menschliches Verhalten nachahmt. 

Zürich 21.08.2024
Beitrag von: Hendrik Thielemann

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