Renato Krpoun: Die Schweiz in den Weltraum und ins Herz der ESA steuern
Mit einem Bein in der Schweiz und dem anderen im europäischen Orbit spielt Renato Krpoun eine Schlüsselrolle in der Weltraumpolitik unseres Landes. Als Leiter der Abteilung für Raumfahrt des SBFI und als Vorsitzender des Rates der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) auf Delegiertenebene navigiert er zwischen strategischen Verhandlungen, industrieller Entwicklung und der Erkundung von Zukunftschancen im Weltraum. Eine Reise, die den Platz der Schweiz im globalen Weltraumabenteuer prägt.
Renato Krpoun, worin besteht Ihre Rolle bei der Europäischen Weltraumagentur?
Zunächst einmal muss man sich vor Augen halten, dass der ESA-Rat wie ein Verwaltungsrat funktioniert. Er setzt sich aus Vertretern der 23 Mitgliedstaaten zusammen und trifft strategische Entscheidungen für die Ausrichtung der Agentur. Auf Ministerebene werden alle drei Jahre Konferenzen abgehalten, um die grossen Haushalts- und Programmlinien festzulegen. Meine Rolle als Ratsvorsitzender besteht darin, die Debatten zu moderieren, die Positionen zwischen den Mitgliedstaaten abzustimmen und die für die Weiterentwicklung der Programme notwendigen Entscheidungen vorzubereiten. Ziel ist es, eine kollektive Dynamik zu gewährleisten, die es Europa ermöglicht, gegenüber den Grossmächten wie den USA oder China ein wichtiger Akteur in der Raumfahrt zu bleiben.
Wie hoch ist die mit dieser Funktion verbundene Arbeitsbelastung?
Die Belastung variiert und bewegt sich im Durchschnitt zwischen 20 und 40 Prozent meiner Arbeitszeit. In manchen Phasen ist jedoch ein intensiveres Engagement erforderlich, je nachdem, welche Diskussionen geführt werden und welche strategischen Fragen zu entscheiden sind.
Was waren die wichtigsten Themen, die in den letzten Monaten diskutiert wurden?
Der unabhängige europäische Zugang zum Weltraum bleibt ein zentrales Thema, insbesondere mit der Inbetriebnahme der Ariane 6. Wir haben eine Krisenzeit hinter uns, die Entscheidungen erforderte, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Trägerraketensektors zu gewährleisten. Eine der Prioritäten war die Vorbereitung der Ministerkonferenz in Sevilla 2023. Dort haben die Mitgliedstaaten einen Kompromiss gefunden, um den Betrieb der Ariane 6, die weitere Entwicklung der Vega sowie den Startschuss für einen neuen wettbewerbsorientierten Ansatz bei den Trägerraketen zu sichern.
Lässt sich sagen, dass Europa seine Autonomie in der Raumfahrt wiedererlangt?
Wir haben bedeutende Fortschritte erzielt. Der erste Start der Ariane 6 im Juli 2024 ist ein wichtiger Meilenstein, ebenso wie die Wiederaufnahme der Flüge mit der Vega-C. Die grösste Herausforderung besteht nun darin, die Startfrequenz zu erhöhen: neun Starts pro Jahr für die Ariane und vier für die Vega.
Wie kann dieses Ziel erreicht werden?
Da ist vor allem die Industrie gefragt, die die Produktion hochfahren muss. Die ESA übernimmt eine Kontrollfunktion, aber es liegt an der Industrie, die Geschwindigkeit zu erhöhen. Bei der Entwicklung der Ariane 6 wurden die für eine hohe Taktrate erforderlichen Produktionskapazitäten bereits integriert. Mit jedem Start werden die Prozesse verbessert, und mit den Varianten Ariane 6-2 und Ariane 6-4 ist ein schrittweiser Hochlauf geplant.
Wie ist die Raumfahrt in der Schweiz strukturiert?
Die Abteilung für Raumfahrt des SBFI, auch bekannt als Swiss Space Office, koordiniert die Weltraumaktivitäten des Landes. Die Schweiz setzt auf die Teilnahme an ESA-Programmen, um Unternehmen und Forschungsinstituten den Zugang zu international führenden Missionen zu ermöglichen.
Warum verfügt die Schweiz nicht über eine eigene Weltraumagentur?
Diese Frage wird regelmässig gestellt. Eine nationale Weltraumagentur wäre mit hohen Kosten und einer komplexen internen Verwaltung verbunden. Die Schweizer Strategie favorisiert eine Integration in die ESA-Programme, die den Zugang zu wettbewerbsfähigen Projekten ermöglicht und gleichzeitig die Ressourcen mit anderen europäischen Ländern bündelt. Dieser Ansatz sichert den Schweizer Akteuren einen Platz bei anspruchsvollen Missionen, ohne dass die Schweiz die Entwicklungskosten allein tragen muss.
Wie viel investiert die Schweiz in die ESA?
Der Bund wendet jährlich rund 200 Millionen Franken für die ESA auf. Dieses Budget garantiert einen Rückfluss in Form von Verträgen, die mit der Industrie und den Schweizer Hochschulen abgeschlossen werden.
Wie unterstützt die Schweiz die Entwicklung neuer Talente im Bereich der Raumfahrt?
Das Swiss Space Office führt nicht direkt Ausbildungsprogramme durch. Wir unterstützen aber Initiativen wie den Space Exchange Switzerland (SXS). Dieses Programm erleichtert den Austausch und Praktika bei der ESA, und es laufen Gespräche, um diese Möglichkeiten auf andere Agenturen, wie die NASA, auszuweiten. Career Days und Veranstaltungen, wie der International Astronautical Congress, ermöglichen es jungen Schweizer Talenten auch, sich mit Akteuren der Raumfahrtbranche zu vernetzen. Ziel ist es, die Raumfahrt für Studierende und Forschende zugänglicher zu machen und gleichzeitig das Schweizer Fachwissen auf der internationalen Bühne zu präsentieren.
Welche Rolle spielen die Schweizer Schulen und Universitäten in dieser Dynamik?
Ein spezielles Budget, das 15 bis 20 Prozent der Schweizer Investitionen in die ESA ausmacht, ist den wissenschaftlichen Instrumenten gewidmet. Diese Finanzierung ermöglicht es den Forschern, sich in internationalen Projekten zu positionieren und in ehrgeizige Weltraumprogramme zu integrieren. Durch Mechanismen wie das Prodex-Programm können Schweizer Universitäten mit der ESA und internationalen Partnern wie der NASA oder JAXA (Japan Aerospace eXploration Agency) zusammenarbeiten.
Wie sehen Sie die Zukunft der europäischen Raumfahrt?
Die Raumfahrt spielt eine immer grössere Rolle bei der Infrastruktur und den Dienstleistungen des Alltags. Bis 2040 werden grosse Fortschritte erwartet, insbesondere bei der sicheren Quantentelekommunikation. Die Senkung der Startkosten durch neue Generationen von Trägerraketen wird auch völlig neue Möglichkeiten in der pharmazeutischen Forschung unter Mikrogravitation oder bei der Herstellung von Halbleitern im Weltraum eröffnen. Die Erforschung des Mondes wird ein weiterer Schwerpunkt sein. Gemeinsam mit den Partnern aus den USA, Kanada und Japan soll eine dauerhafte Präsenz auf dem Mond errichtet werden, was erhebliche logistische Herausforderungen mit sich bringt. Der Transport von Ressourcen in die Umlaufbahn und zu Mondbasen wird neue technologische Lösungen erfordern, die für Schweizer Unternehmen, die sich auf Robotik und Präzisionstechnik spezialisiert haben, vielversprechende wirtschaftliche Perspektiven bieten.
Beitrag von: Roland J. Keller
Bildquelle: Roland J. Keller