Wärmepumpen für die Industrie: Der Weg aus der Nische
Industrielle Wärmepumpen sind entscheidend, um Prozesswärme zu dekarbonisieren. Ihr Marktpotenzial wird bislang jedoch kaum ausgeschöpft. Forschende der ZHAW und der OST haben im Rahmen des vom BFE finanzierten Projekts SWEET DeCarbCH untersucht, warum der Markthochlauf stockt – und welche Hebel ihn beschleunigen könnten.
Technisch betrachtet sind industrielle Wärmepumpen heute ausgereift. Unterschiedliche Bauarten – von Hochtemperaturverdichtern über Kaskadensysteme bis hin zu transkritischen CO₂-Kreisläufen – decken Temperaturbereiche von 80 bis 200 Grad Celsius ab. In Kombination mit Abwärmenutzung, Wärmespeichern oder Photovoltaik können Systeme eine ganzjährige Versorgung sicherstellen.
Das theoretische Potenzial ist gross: Laut aktuellen technoökonomischen Analysen könnten in der Schweiz bis zu 700 Megawatt Prozesswärme durch industrielle Wärmepumpen bereitgestellt werden. Das entspricht mehreren Prozent des gesamten industriellen Energieverbrauchs. In der Praxis nutzen jedoch nur wenige Betriebe diese Möglichkeit.
Die Gründe sind vielfältig – und sie liegen nicht primär in der Technik. Das zeigt die Arbeit von Forschenden der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Ostschweizer Fachhochschule (OST), die im Rahmen des vom Bundesamt für Energie (BFE) finanzierten Projekts SWEET DeCarbCH die Marktentwicklung untersuchen. Basierend auf Interviews und Workshops mit Schweizer Industrieunternehmen, Technologieanbietern und Forschenden des Projekts präsentieren sie ein dynamisches Wirkungsmodell, das die Zusammenhänge veranschaulicht, und diskutieren Handlungsoptionen.
Das Verhältnis von Strom- zu Gaspreis liegt in der Schweiz derzeit bei rund 2,5. Damit sich eine Wärmepumpe amortisiert, muss ihr COP (Coefficient of Performance) mindestens diesen Wert erreichen. Hinzu kommen hohe Anfangsinvestitionen und Engpässe bei Expertise und Fachkräften. Interviews deuten darauf hin, dass die Hürden nicht nur innerhalb der Unternehmen liegen, sondern auch bei Planern, Beratern, Technologieanbietern sowie aufseiten von Behörden, Politik und Kundschaft – ein Hinweis darauf, dass koordinierte Aktionen im Ökosystem die Diffusion beschleunigen können.
Welche Faktoren können den Ausschlag für einen Investitionsentscheid zugunsten industrieller Wärmepumpen geben? Die Auswertung der geführten Interviews zeigt eine Reihe von Faktoren: Die Entscheidung zugunsten industrieller Wärmepumpen wird nicht allein durch wirtschaftliche Überlegungen getrieben. Sie hängt vielmehr davon ab, ob die Unternehmen den sogenannten «Business-Case for Sustainability» erkennen, also Energieeffizienz, CO₂-Reduktion und stabile Betriebskosten als integralen Bestandteil ihrer Wettbewerbsfähigkeit verstehen. Ebenfalls wichtig ist, dass die Technologie als zuverlässig wahrgenommen wird und dass das für den Einsatz notwendige Know-how vorhanden ist oder aufgebaut wird.
Erfolg schafft Vertrauen
In ihrem Wirkmodell beschreiben die Forschenden Dynamiken innerhalb eines Unternehmens, die die Einführung der Wärmepumpentechnologie fördern oder bremsen. Rahmenbedingungen wie Energiepreise oder Prozessanforderungen lassen sich kaum beeinflussen. Ausschlaggebend ist jedoch, welchen strategischen Stellenwert die Dekarbonisierung im Unternehmen hat. Sie bestimmt die Emissionsziele und die Toleranz bei den Wirtschaftlichkeitskriterien – und beeinflusst damit direkt den Business-Case für Wärmepumpen.
Die Forschenden beschreiben die Entwicklung als eine selbstverstärkende Rückkopplung. Eine erfolgreich betriebene Anlage schafft Vertrauen, eine schlecht ausgelegte oder unzuverlässige Anlage verstärkt die Skepsis. Zudem wirken verschiedene Rückkopplungen, die sich gegenseitig verstärken oder ausgleichen können:
Erreichen von Dekarbonisierungszielen: Je grösser die Lücke zwischen den gesetzten Emissionszielen und den tatsächlichen Emissionen, desto höher ist die Dringlichkeit, Massnahmen umzusetzen – etwa die Einführung von Wärmepumpen. Werden die Ziele jedoch erreicht, nimmt dieser Handlungsdruck wieder ab. Ambitionierte Zielsetzungen fördern somit die Verbreitung, während weniger ehrgeizige Zielvorgaben sie bremsen können.
Lokale Legitimierung: Viele Unternehmen stehen Wärmepumpen zunächst skeptisch gegenüber – aus Sorge vor Betriebsstörungen oder unzureichender Leistung. Bewährt sich die Technologie in der Praxis, stärkt das Vertrauen und begünstigt weitere Investitionen. Umgekehrt führen negative Erfahrungen zu verstärkten Vorbehalten. Bei kleinen und mittleren Unternehmen, die oft nur eine einzelne Anlage betreiben, hängt die Akzeptanz stark vom Erfahrungsaustausch innerhalb der Branche ab.
Lokales Lernen: Mit jeder implementierten Anlage entstehen neue Fähigkeiten im Unternehmen. Mitarbeitende werden geschult, Steuerungen angepasst und die Einsatzgrenzen der Technologie besser verstanden. Diese Erfahrungen fliessen in künftige Projekte ein – etwa in die Prozessgestaltung oder die Integration ergänzender Technologien wie Photovoltaik oder Wärmespeicher – und erleichtern damit weitere Anwendungen. Auch auf der Ebene des gesamten Ökosystems wirken ähnliche Mechanismen. Einige Faktoren, die die Einführung von Wärmepumpen beeinflussen, liegen ausserhalb der Betriebe selbst und werden von der Angebotsseite geprägt.
Angebotsseitige Marktentwicklung: Forschung und Entwicklung führen dazu, dass Wärmepumpen leistungsfähiger und kostengünstiger werden. Dadurch erkennen mehr Unternehmen einen tragfähigen Business-Case und investieren. Planer, Berater, Installateure und Integratoren gewinnen dadurch praktische Erfahrung und erweitern ihre Kompetenzen. Besser geplante und umgesetzte Anlagen stärken das Vertrauen in die Technologie, und erfolgreiche Referenzprojekte wirken sich wiederum positiv auf künftige Investitionsentscheidungen aus.
Legitimierung im Ökosystem: Mit zunehmender Erfahrung steigt die Qualität der installierten Systeme, was ihre Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit unterstreicht. Gleichzeitig wird dieser Prozess dadurch gebremst, dass neue Produkte zunächst als weniger erprobt wahrgenommen werden.
Klare Handlungsempfehlungen
Aus den Ergebnissen der Arbeit und dem Wirkmodell leiten die Forschenden klare Handlungsempfehlungen ab: Strategisch geplante Dekarbonisierung schafft die Voraussetzung für eine gute Systemauslegung – inklusive Kompetenzaufbau und Integration ergänzender Technologien. Die Wahl des Implementierungsmodells sollte vorausschauend erfolgen. Dienstleistungsbasierte Modelle wie «Heat-as-a-Service» oder «Decarbonization-as-a-Service» gewinnen an Bedeutung. Um die selbstverstärkenden Rückkopplungen zwischen Marktentwicklung und Legitimierung zu nutzen, empfiehlt sich ein orchestriertes Vorgehen. Dazu gehören eine gemeinsame Vision, ein Überblick über neue Angebote, definierte Schnittstellen zur Risikoreduktion – etwa in Form von Musterverträgen – sowie anerkannte Tools zur Wirtschaftlichkeitsprüfung und eine systematische Dokumentation neuer Geschäftsmodelle.
Beitrag von: Matthias Speich, Silvia Ulli-Beer (ZHAW), Cordin Arpagaus, Frédéric Bless (OST)
Bildquelle: C. Arpagaus / OST