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Eine Atombehörde für die künstliche Intelligenz?

Die künstliche Intelligenz rüttelt an den Grundpfeilern unserer Gesellschaft. Der gesellschaftliche Diskurs hinkt der technologischen Entwicklung hinterher. Der Luzerner Ethiker Peter Kirchschläger fordert deshalb eine globale Regulierungsinstanz für KI.

Intelligent, aber nicht moralfähig: Universelle Sprachmodelle können nicht selbst erkennen, was gut oder böse ist.

Es war ein rabenschwarzer Montag für Nvidia: Am 27. Januar rauschten die Aktien des amerikanischen Chip-Herstellers in den Keller. Der Börsenwert des Konzerns schrumpfte auf einen Schlag um 600 Milliarden Dollar, nachdem das chinesische Start-up DeepSeek sein KI-Modell namens R1 vorgestellt hatte. R1 verfügt über ähnliche Fähigkeiten wie die KI-Modelle von OpenAI, Google oder Meta, benötigt aber angeblich nur einen Bruchteil der Rechenleistung. Schlechte Aussichten also für Nvidia, den weltweit führenden Hersteller von KI-Chips.

 

Der Crash der Nvidia-Aktie zeigt: Das Rennen um die globale Dominanz auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz ist in vollem Gange. Und die Teilnehmer sind mindestens so nervös wie die Rennpferde am Start des Prix de l’Arc de Triomphe. Die Nervosität hat ihren Grund. Langsam dämmert auch dem Letzten, dass bald nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Künstliche Intelligenz und ihre universellen Sprachmodelle werden unsere Welt radikal verändern.

 

Wie so oft, wenn Veränderungen anstehen, gibt es unterschiedliche Lager. Den einen kann es gar nicht schnell genug gehen. Sie glauben an den Fortschritt, setzen auf Wachstum und wittern das grosse Geschäft. Was machbar ist, wird gemacht. Ethiker, Philosophen und andere Störenfriede sollen sich nicht einmischen. Schon gar nicht der Staat. Regulierungen – ja selbst langwierige Diskussionen darüber – würden das eigene Rennpferd zum Lahmen bringen, die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen KI-Standortes zunichtemachen. Die anderen wollen am liebsten, dass alles so bleibt, wie es ist. Sie haben Angst, dass Freiheit, Moral und Menschenwürde im Wettlauf auf der Strecke bleiben. Und sie wollen nicht, dass ihr Job morgen von einer Maschine erledigt wird.

Computer übernehmen Menschenarbeit

Die Angst ist nicht unbegründet. Immer mehr Experten gehen davon aus, dass künstliche Intelligenz einen erheblichen Teil der menschlichen Arbeit übernehmen wird. Bereits 2013 hatten der Oxford-Ökonom Carl Benedikt Frey und sein Kollege Michael Osborne vorausgesagt, dass in den kommenden zwei Jahrzehnten 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA wegfallen würden.

 

Peter Kirchschläger, Professor für theologische Ethik an der Universität Luzern und Gastprofessor für Neuroinformatik und neuronale Systeme an der ETH Zürich, prognostiziert Ähnliches: «Wir verabschieden uns gerade vom Streben nach Vollbeschäftigung», sagte er kürzlich bei einem Vortrag im österreichischen Götzis. Das Argument, dass technologischer Wandel in der Vergangenheit immer zu mehr und nicht zu weniger Beschäftigung geführt habe, lässt Kirchschläger nicht gelten. Im Fall von KI seien alle Tätigkeitsfelder vom Wandel betroffen. «Es sind nicht nur berufliche Aufgaben, die wenig oder keine Qualifikation voraussetzen, sondern wir haben es mit Roboter-Richtern und Roboter-Chirurginnen zu tun.»

 

Weniger zu arbeiten, müsse nicht unbedingt schlecht sein, gibt der Ethiker zu bedenken. «Ethisch problematisch wird es dann, wenn wir keine finanzielle Absicherung mehr haben, wenn die soziale Integration nicht mehr funktioniert, also der gesellschaftliche Zusammenhalt auseinanderbricht.»

«Der Pflegeroboter erkennt nicht selbst, dass es falsch ist, der Patientin eine Ohrfeige zu geben.» Peter Kirchschläger

Die Expertise von Peter Kirchschläger ist gefragt. Der Luzerner Ethiker berät eine Reihe internationaler Organisationen in ethischen Fragen, darunter die UNO, die OSZE und die EU. Kirchschläger ist kein KI-Gegner, er konstatiert ein «enormes positives Potenzial», das im Dienste der Menschenwürde zu identifizieren und auszuschöpfen sei. Ohne einen gesellschaftlichen Diskurs sei das jedoch nicht möglich.

KI ist nicht moralfähig

Dabei geht es nicht nur um den Arbeitsmarkt: Künstliche Intelligenz sei nicht «moralfähig», beschreibt Kirchschläger ein Kernproblem. Damit meint der Luzerner Professor die Fähigkeit, selbst zu erkennen, was ethisch richtig, falsch, gut oder böse ist. «Der Pflegeroboter erkennt nicht selbst, dass es falsch ist, der Patientin eine Ohrfeige zu geben», so der gebürtige Wiener. Daran werde auch gesteigerte Rechenfähigkeit nichts ändern, «weil gesteigerte Rechenfähigkeit nicht plötzlich Freiheit hervorzaubert».

 

Peter Kirchschläger empfiehlt einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, in dem Technologie, Disziplinen und Ethik miteinander ins Gespräch gebracht werden –und zwar möglichst von Anfang an. «Mein Vorschlag wäre, dass wir von Anfang an Technologie, Disziplin und Ethik miteinander ins Gespräch bringen und so diese vielen kleinen Entscheidungen, die von ethischer Relevanz sind, im Forschungs- und Innovationsalltag bereits ethisch informiert fällen können.» So könne das ethisch Positive verfolgt und das Negative vermieden werden.

 

Peter Kirchschläger möchte deshalb bei der UNO eine Internationale Agentur für datengestützte Systeme (IDA) schaffen, analog zur Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA, als globale Plattform, die die Menschenrechte, die Sicherheit und die friedliche Nutzung der KI fördert und als globale Aufsichts- und Überwachungsinstitution sowie als Regulierungsbehörde im Bereich der KI für den Zugang zur Marktzulassung zuständig ist. Mit seiner Idee ist Kirchschläger nicht allein. Unter anderem haben sich UNO-Generalsekretär António Guterres, der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, OpenAI-Gründer Sam Altman und der Dalai Lama dafür ausgesprochen. Auch der vor Kurzem verstorbene Papst Franziskus gehörte zu den Unterstützern der Idee. 

 

Peter Kirchschläger im ORF-Podcast
https://sound.orf.at/podcast/vbg/focus/peter-g-kirchschlaeger-ki-und-menschenwuerde

Zürich 11.06.2025
Beitrag von: Hendrik Thielemann
Bildquelle: Shutterstock

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