Der orange Riese macht sich bereit für die Reise zum Mond
Die Ankunft der ersten Stufe der Artemis-II-Rakete in Florida war ein Meilenstein bei den Vorbereitungen für die nächste Mondmission. Während die Raumfahrtnachrichten gewöhnlich von den Heldentaten von SpaceX und seinem imposanten Starship beherrscht werden, hat sich der 64,6 Meter lange Weltraumkoloss der NASA langsam einen Weg in seine «Garage», das VAB, gebahnt. Die millimetergenaue Präzision beim Transport der hochmodernen Antriebstechnologie machte deutlich, wie entscheidend die Schritte sind, die jedem grossen Start vorausgehen.
Am 23. Juli kam die erste Stufe der Artemis-II-Rakete (Space Launch System) mit dem Schiff im Kennedy Space Center (KSC) an. Überschattet wurde dieses bedeutsame Ereignis durch die Nachrichten von der gigantischen, 120 Meter hohen Starship-Rakete von SpaceX. Deren Starts finden regelmässig, an fast jedem zweiten Tag statt. Man könnte meinen, dass die Artemis-II-Rakete nicht mit dem beeindruckenden Super-Heavy-Booster, der ersten Stufe des Starships, mithalten kann. Der ist 70 Meter hoch, hat einen Durchmesser von 9 Metern, wird mit Methan und Sauerstoff betrieben und liefert doppelt so viel Energie wie die Artemis-Rakete.
Der lange Weg der Artemis-II-Hauptstufe
Dennoch: In gehärteten Isolierschaum gekleidet, verliess der grosse «orange Teddybär» langsam, aber sicher seine Pegasus-Barkasse und machte sich auf den Weg zu seiner Garage, dem berühmten VAB (Vehicle Assembly Building).
Mit ein paar Zentimetern pro Sekunde musste das Ungetüm zuerst die Schiffsbrücke überwinden. Als es dann an Land auf dem Beton stand, ging es etwas schneller. Für den Weg von der Landestelle zum VAB brauchte die Hauptstufe drei Stunden. Das entspricht einer Geschwindigkeit von etwa 300 Meter pro Stunde. Dieser erste Teil der Artemis-II-Rakete, der auf einem riesigen Anhänger montiert war, wurde mit den «Füssen voran», das heisst mit seinen vier Triebwerken zuerst, herausgefahren. Deshalb musste er auf dieser kurzen Strecke im Zickzack manövriert werden, damit er vor der Eingangsöffnung seiner Garage auftauchen konnte. Die 64,6 m lange Stufe mit einem Durchmesser von 8,4 m ist mit vier RS-25-Triebwerken ausgestattet, die aus dem Space-Shuttle-Programm stammen und jeweils einen gewaltigen Schub liefern. Angetrieben von einer starken Mischung aus flüssigem Wasserstoff (LH2) und flüssigem Sauerstoff (LOX), verwandeln diese Triebwerke die erste Stufe in einen wahren Weltraum-Giganten, der etwa 630'000 Liter flüssigen Sauerstoff und 1'890'000 Liter flüssigen Wasserstoff mit sich führt. Die aus einer Aluminium-Lithium-Legierung geschmiedete Struktur vereint Leichtigkeit und Robustheit. Sie wiegt leer etwa 85 Tonnen, erreicht aber 975 Tonnen, wenn sie mit Treibstoff gefüllt ist.
Gehärteter Schaum oxidiert orange
Das orangefarbene Material, mit dem die erste Stufe der SLS-Rakete und andere Teile wie die Aussentanks bedeckt sind, ist eine isolierende Schaumstoffverkleidung. Diese wird als Spray-On Foam Insulation (SOFI) bezeichnet und aus mehreren Gründen aufgebracht:
- Wärmeisolierung: Der Schaumstoff schützt den kryogenen Treibstoff (flüssiger Wasserstoff und flüssiger Sauerstoff) vor Aussentemperaturen, die zu einem Verlust der Energieeffizienz führen können.
- Reduzierung von Kondensation: Durch die Isolierung der Tanks verhindert der Schaumstoff die Bildung von Eis auf den Aussenflächen der Tanks, die beim Start zu Problemen führen könnte.
- Schutz vor Trümmern: Der Schaum hilft, die Tanks und internen Komponenten vor kleinen Trümmern und Stössen während des Starts zu schützen.
Der Isolierschaum besteht aus Polyurethan, einem Polymer, das auf die Oberfläche der Tanks gesprüht werden kann. Wenn es aufgetragen wird, bläht es sich auf und bildet eine leichte, aber effektive Isolierschicht. Die charakteristische orange Farbe kommt von den Farbstoffen und durch die Wirkung von Oxidation und ultravioletter Strahlung.
Die RPSF, die Garage und der obligatorische Weg der Triebwerke
Neben dem VAB gibt es ein weiteres Gebäude, das für die Vorbereitung der Raketen ebenso wichtig ist: die Rotation, Processing and Surge Facility (RPSF). Dieses Gebäude wird für die Annahme, Inspektion und Verarbeitung der Segmente der Feststofftriebwerke des SLS verwendet. Diese Booster-Segmente sind entscheidend für die Bereitstellung des notwendigen Schubs beim Start. Jedes dieser Segmente wird inspiziert und vertikal positioniert, um eine optimale Vorbereitung für die Endmontage im VAB zu gewährleisten. Sobald sie fertig sind, werden sie in die Garage verlegt, und auf der mobilen Startvorrichtung zum Start des SLS mit der europäischen Orion-Kapsel positioniert.
Start von Artemis II im September 2025?
Der Starttermin von Artemis II ist derzeit für September 2025 vorgesehen – später als ursprünglich geplant. Die Verzögerung ist auf verschiedene technische Probleme zurückzuführen. Erstens zeigte die Analyse der bei der Artemis-I-Mission gesammelten Daten ein unerwartetes Verhalten des Hitzeschildes von Orion während des Wiedereintritts in die Atmosphäre, das besondere Aufmerksamkeit erforderte. Zweitens wurde ein Konstruktionsfehler in einem entscheidenden Schaltkreis des Lebenserhaltungssystems des Raumschiffs festgestellt. Dieser zwang die NASA, Teile der Ausrüstung zu überarbeiten. Und drittens verzögern die komplexen Austausch- und Testvorgänge kritischer Komponenten, die für die Sicherheit der Mission notwendig sind, den Zeitplan.
Zum Mond mit einem angepassten Starship
Die Artemis-II-Mission soll die erste Rückkehr von Astronauten in die Mondumlaufbahn seit dem Ende des Apollo-Programms im Dezember 1972 darstellen. Der Start symbolisiert einen weiteren Schritt in den Bestrebungen der Menschheit, eine dauerhafte Präsenz auf dem Mond zu errichten und sich schliesslich auf die Erforschung des Mars vorzubereiten. Die Rückkehr auf die Mondoberfläche ist übrigens mit einem angepassten Starship-Lander geplant, der von SpaceX entwickelt wurde. Aber das ist eine andere Geschichte ...
Beitrag von: Roland J. Keller
Bildquelle: NASA