Mit Wissenschaft die Schweizer Wasserkraft stärken
Die Wasserkraft ist das Rückgrat der Schweizer Stromversorgung. ETH-Forschende um Robert Boes entwickeln Lösungen, um die Stromproduktion aus Schweizer Wasserkraftwerken zu optimieren.
«Obwohl es sich bei der Schweizer Wasserkraft um eine bewährte Technologie handelt, müssen wir sie ständig optimieren. Tun wir das nicht, droht die Stromproduktion und -speicherung aus bestehenden Werken langsam zu erodieren», erklärt Robert Boes, der seit 2009 die Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie an der ETH Zürich leitet. Denn vor allem Speicherseen haben eine natürliche Tendenz, durch Geröll und Kies kleiner zu werden. Und Sedimente in den Wasserwegen führen mit der Zeit unweigerlich zur Abnutzung der Turbinen.
Diesen und weiteren Herausforderungen wirken ETH-Forschende schon seit einigen Jahren mit ihrer Forschung entgegen: Sie entwickeln Lösungen für ein effizientes Wassermanagement, berechnen Wartungsstrategien für Turbinen und zeigen auf, an welchen Standorten das Potenzial für Wasserkraft möglichst wirksam und umweltschonend genutzt werden könnte.
Besseres Wassermanagement für Laufwasserkraftwerke
Auf den 36 Kilometern, die die Limmat vom Zürichsee bis zur Aare zurücklegt, gibt es elf Laufwasserkraftwerke. Der Zürichsee gleicht dabei einem grossen Kopfspeicher, über den Wasser in die Limmat abgelassen wird. Über die Wehranlage am Zürcher Platzspitz regulieren die Behörden den Zürichseepegel und damit auch, wie viel Wasser in die Limmat fliesst. Dieser Pegelstand ist neben dem Hochwasserschutz, der Schifffahrt und der Ökologie vor allem für die Stromproduktion relevant.
Boes und sein Forschungsteam zeigten kürzlich in einer Studie, dass sich durch ein optimiertes Wehrreglement am Platzspitz rund zwei Prozent mehr Strom in den Limmatkraftwerken erzeugen liessen. Möglich würde diesen Effizienzgewinn eine neue Steuerungsstrategie machen, die einerseits höhere Seewasserstände im heutigen Reglement erlaubt und andererseits mithilfe von Wettermodellen die Pegelregulierung des Zürichsees besser auf die zu erwartenden Niederschlagsmengen und Zuflüsse abstimmt.
Für Laufwasserkraftwerke gilt: Je gleichmässiger das Wasser fliesst, desto besser ist die Stromproduktion. Insbesondere bei kleineren und mittleren Hochwassern könnten die auftretenden Wassermengen durch das neue Reglement besser genutzt werden. «Sagt das Wettermodell starken Regen vorher, würde die smarte Wehranlage bereits vorab etwas mehr Wasser in die Limmat ablassen. Wenn es dann regnet, hat der See mehr Puffer und kann trotz der starken Niederschläge weiterhin gleichmässig Wasser an die Limmat abgeben», erklärt der ETH-Professor. Dies würde verhindern, dass die Turbinen durch zu viel Wasser überlastet werden.
Ähnliche Anpassungen wären auch an anderen Schweizer Flüssen im Mittelland unterhalb von Alpenrandseen möglich. Boes und sein Team haben berechnet, dass sich die Stromproduktion aus Laufwasserkraftwerken durch eine klügere Steuerung der Wehranlagen um rund 100 GWh pro Jahr steigern liesse. Damit könnte der jährliche Strombedarf von rund 25'000 Vier-Personen-Haushalten gedeckt werden.
Turbinen wirksamer gegen Sedimente schützen
Feine Sedimente, die Flüsse mit sich führen, sind die natürlichen Feinde jeder Wasserkraftturbine. Sie wirken wie Schmirgelpapier und führen dazu, dass sich Turbinen abnützen und weniger Strom produzieren. Dieses Problem ist bis heute nicht vollständig gelöst. Viele Kraftwerke verfügen zwar über sogenannte Entsanderbecken, doch diese können die winzigen Partikel im Wasser oft nur unzureichend reduzieren.
Um die Wirksamkeit dieser Sandfanganlagen zu erhöhen, untersuchten Boes und sein Team, welche Art von Becken besonders wirksam ist: «Am besten funktionieren lange Becken mit einem sanften Sohlgefälle, in denen das Wasser möglichst langsam fliesst. Dort können sich die Partikel leichter am Boden absetzen», sagt der ETH-Professor. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde bereits der Sandfang des Wasserkraftwerks Susasca in Graubünden verbessert.
Geröll-Bypässe für Stauseen
Durch witterungsbedingte Erosion gelangen Steine, Kies und andere Sedimente über den Wasserzufluss in die Stauseen und verringern deren Speichervolumen. Dieses als Verlandung bekannte Problem könnte die Speicherkapazität von Schweizer Stauseen bis 2050 um rund sieben Prozent reduzieren. Bei kleineren und mittleren Speichern werden heute Umleitstollen als bauliche Massnahme gegen die Verlandung eingesetzt. Ähnlich einem Bypass führen sie bei Hochwasser Steine, Kies und Sedimente an der Staumauer vorbei. Durch den starken Geschiebetransport kommt es aber an der Sohle des Umleitungsstollens mitunter zu ausgeprägten Abnützungen.
ETH-Professor Boes und sein Team beschäftigten sich mit diesem Problem. Die Forschenden untersuchten, welche Materialien sich am besten für die Sohlauskleidung solcher Stollen eignen. Sie kamen zum Schluss, dass bei besonders harschen Bedingungen hochfester Granit der starken Abnützung am besten standhält. Aufgrund dieser Erkenntnis wurden seither mehrere Umleitstollen weltweit mit Granit ausgekleidet. Die Forschenden konnten zudem am Beispiel des Solis-Stausees in Graubünden nachweisen, wie wirksam Umleitstollen tatsächlich sind. Dank des Stollens konnte die jährliche Verlandung um über 80 Prozent gesenkt werden.
Mehr Strom durch optimierte Wartung der Turbinen
Zur Entlandung von Speichern können Feinsedimente alternativ auch über den Triebwasserweg und die Turbinen in unterhalb liegende Flussabschnitte geleitet werden. «Das Problem dabei ist, dass die Turbinen stärker verschlissen werden. Diese Lösung kann sich für alpine Stauseen aber dennoch lohnen, wenn alternative Massnahmen wie zum Beispiel Umleitstollen zu teuer oder nicht machbar wären», sagt Boes.
Um die Machbarkeit dieser Massnahme gegen Verlandung besser einschätzen zu können, müssen die Kraftwerkbetreiber aber wissen, welche Schäden die Sedimente an den Turbinen anrichten und wie stark sie deren Wirkungsgrad mindern. Dieses Problem analysierten Boes und sein Team in je einer Wasserkraftanlage im Wallis und Graubünden. Mit diesen Erkenntnissen entwickelten die Forschenden ein Modell, das vorhersagt, wann eine Turbine aufgrund der Abnützung durch Sedimente an Leistung verliert und ersetzt werden sollte. Dadurch können Kraftwerksbetreiber die Wartung ihrer Anlagen optimieren und letztlich mehr Strom produzieren.
Beitrag von: Christoph Elhardt, ETH Zürich
Bildquelle: Kanton Zürich