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Aus der Luft gegriffen

Netto-Null reicht nicht. Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, müssen wir Kohlendioxid aus der Atmosphäre filtern. Das Schweizer Unternehmen Climeworks ist ein Pionier auf diesem Gebiet. Doch die ersten «CO2-Staubsauger» brauchen viel Energie und sind noch sehr teuer.

Zu Stein gewordenes CO2. Climeworks arbeitet mit dem isländischen Unternehmen Carbfix zusammen. Carbfix bringt das CO₂ in den Untergrund, wo es durch einen natürlichen Prozess mit Basalt­gestein reagiert und sich in Stein verwandelt. | © Climeworks
Zu Stein gewordenes CO2. Climeworks arbeitet mit dem isländischen Unternehmen Carbfix zusammen. Carbfix bringt das CO₂ in den Untergrund, wo es durch einen natürlichen Prozess mit Basalt­gestein reagiert und sich in Stein verwandelt.

Wenn in der Vergangenheit Neuigkeiten über Schweizer Fluggesellschaften auf Zeitungstiteln zu lesen waren, dann handelte es sich nicht immer um gute Nachrichten. Anfang März war das anders. Die Swiss hatte gerade ihre Zahlen für 2023 präsentiert – die besten der Unternehmensgeschichte. Doch der Rekordgewinn von mehr als 700 Millionen Franken war nur eine Randnotiz: «Klimaneutrales Fliegen: Swiss setzt auf ‹Staubsauger› für CO2», titelte der Tagi. 

 

Die Swiss will ihren Passagieren die Möglichkeit bieten, das durch ihren Flug verursachte CO2 aus der Atmosphäre ­filtern zu lassen. Dafür hat die Airline einen Kooperationsvertrag mit dem ­Zürcher Unternehmen Climeworks unterzeichnet. Climeworks ist ein Pionier auf dem Gebiet der Direct Air Capture (DAC). Dabei wird Kohlendioxid aus der Luft gefiltert: Ventilatoren saugen Luft in einen Kollektor. Dort passiert sie einen Filter, der die Kohlendioxidpartikel zurückhält. Wenn der Filter vollständig mit CO2 gefüllt ist, schliesst sich der Kollektor und wird auf etwa 100 °C aufgeheizt. Dabei wird das Kohlendioxid freigesetzt, aufgefangen und unterirdisch gespeichert.

 

Climeworks hat dieses Konzept zur Marktreife entwickelt und 2021 die weltweit erste DAC-Fabrik in Betrieb genommen. Die Anlage mit dem Namen «Orca» steht auf Island. Sie kann jährlich etwa 4000 Tonnen CO2 aus der Luft filtern und speichern. Das entspricht ungefähr der Menge, die 1400 Fluggäste verursachen, die von Zürich nach New York und zurück fliegen. Wenig, wenn man bedenkt, dass im Jahr 2023 mehr als 2,6 Millionen Passagiere von Zürich nach Nordamerika starteten oder von dort ankamen.

Eine Gigatonne bis 2050

Doch «Orca» soll erst der Anfang sein. Derzeit nimmt Climeworks seine zweite Anlage auf Island in Betrieb: «Mammoth» soll neunmal leistungsfähiger werden als Orca. Für Climeworks ist Mammoth ein weiterer Schritt auf dem Weg zu ehrgeizigen Zielen: Bis 2030 will das Unternehmen jährlich eine Megatonne CO2 aus der Luft filtern, bis 2050 sogar eine Gigatonne. Climeworks ist nicht allein: Nach Angaben der Internationalen Energieagentur IEA gibt es derzeit 27 Anlagen zur Filterung von Kohlendioxid aus der Luft. Die meisten davon sind allerdings Versuchsanlagen.

 

Zwar sind die Kapazitäten noch gering, doch die DAC-Technologie rückt in jüngster Zeit immer stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Kein Wunder. Die Klimaziele des Pariser Abkommens werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfehlt. Klimafreundliche Alternativen zum Einsatz fossiler Brennstoffe kommen in einigen Bereichen nur schleppend voran. Und im langsam auftauenden arktischen Permafrost schlummert ungefähr doppelt so viel Kohlendioxid, wie derzeit in der Atmosphäre enthalten ist.

 

Früher oder später dürfte das Absaugen von CO2 aus der Atmosphäre alternativlos werden. Doch so beeindruckend die Fortschritte auch sind, hinter der Technologie stehen einige Fragezeichen. Da ist zum einen der hohe Energiebedarf. Eine 2021 von deutschen Klimaforschern veröffentlichte Studie schätzt, dass rund 1000 kWh nötig sind, um eine Tonne CO2 aus der Luft zu filtern. Die Rechnung geht also nur auf, wenn auch massenhaft Energie aus regenerativen Quellen zur Verfügung steht. In den Climeworks-Fabriken auf Island stammt sie aus Geothermie.

«Die Kosten müssen auf unter 200 Dollar pro Tonne und idealerweise näher an 100 Dollar pro Tonne fallen.» David Webb, Boston Consulting Group

Alles hängt am Preis

Zum anderen ist Direct Air Capture teuer. Derzeit kostet es mindestens 1000 US-Dollar, eine Tonne Kohlendioxid aus der Luft zu filtern. Angesichts dieses Preises darf bezweifelt werden, dass das neue, freiwillige Angebot von Swiss und Climeworks sich schon bald grosser Beliebtheit bei den Fluggästen erfreuen wird. Ein Rechenbeispiel: Das Swiss-Economy-Ticket für eine zehntägige Reise nach New York über den 1. Mai kostete am Tag, an dem dieser Artikel verfasst wurde, genau 514,90 CHF. Dazu kämen dann noch mal geschätzte 2500 Franken für das Absaugen des verursachten CO2.

 

Es liegt in der Natur neuer Technologien, dass sie anfangs gar nicht oder nur für wenige bezahlbar sind. Die grosse Herausforderung für Climeworks und seine Mitbewerber besteht darin, ihre DAC-Fabriken schnell zu skalieren, sie klimafreundlich mit Energie zu versorgen und ihre Dienstleistung zu einem erschwinglichen Preis anzubieten.

 

Das US-Energieministerium hat einen Preis von 100 Dollar als Ziel vorgegeben. «Wir schätzen, dass die Kosten auf unter 200 Dollar pro Tonne und idealerweise näher an 100 Dollar pro Tonne fallen müssen», schreibt David Webb, Klimaexperte der Boston Consulting Group, in einem Meinungsbeitrag auf der Webseite des World Economic Forum. Webb glaubt, dass dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden kann, jedoch seien dafür «massive Investitionen, staatliche Unterstützung, Kooperationsmodelle und ein breiteres Engagement der Branche» erforderlich. Weniger optimistisch sind hingegen Wissenschaftler der ETH Zürich. Sie gehen davon, dass der Preis auch in Zukunft nicht unter – je nach Technologie – 230 bis 540 Dollar sinken wird.

Zürich 04.04.2024
Beitrag von: Hendrik Thielemann
Bildquelle: Climeworks

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