Weg von der Wegwerfgesellschaft, aber wie?
Die Elektronikbranche hat einen Weg gewählt, der dazu geführt hat, dass wir heute leistungsfähigere Geräte günstiger produzieren und kaufen können als je zuvor. Nun scheinen wir aber in gewissen Facetten über das Ziel hinausgeschossen zu sein und aus «günstig» wurde «billig». Die Elektronik hat in der Bevölkerung schon fast den Ruf eines Einweg-Plastikbechers: Nur für kurze Zeit zu gebrauchen, nicht belastbar und wenn beschädigt, dann wird das Ganze ersetzt. Dass dies nicht nachhaltig ist, wissen wir. Aber lässt sich dieser Kurs korrigieren? Autor: Roland Grimmer, Vorstandsmitglied Swiss Engineering Fachgruppe Elektronik und Informatik
Die Entwicklung hin zur “Wegwerf-Elektronik” hat einen nicht unerheblichen Effekt auf unseren Ressourcenverbrauch und unseren Fussabdruck hinterlassen. Wer wie ich je in einer Rohstoffmine gestanden hat, kennt das bedrückende Gefühl nur zu gut wenn der Blick über ein Tal der Grösse des Zürichseebeckens (!) schweift, in dem nichts mehr leben kann. Wenn Lithium, Gold, Kupfer, Bauxit (Aluminiumoxyd), seltene Erden aber auch Öl für die Produktion elektronischer Geräte abgebaut wird, hinterlässt das grossflächige Narben. Trotzdem benötigen wir laufend mehr Rohstoffe um die Nachfrage zu sättigen. Die bereits geförderten Rohstoffe dann nach kurzem Gebrauch wieder zu entsorgen macht vor diesem Hintergrund wenig Sinn.
Wenn Ressourcen rar sind muss man mit dem Arbeiten, was man hat. Diese altbewärte Erkenntnis ist in der aktuellen Lage von Rohstoffknappheit, Lieferengpässen und Fachkräftemangel aktueller den je. Die Rückgewinnung von Materialien aus Abfallstoffen, die Verlängerung der Lebensdauer durch Wartung und Reparatur sowie das Anlegen von Reserven gewinnen wieder an Wichtigkeit. Das scheint einleuchtend, ist aber einfacher gesagt als getan.
Was für unsere Grosseltern noch selbstverständlich war ist mit der Globalisierung stark in den Hintergrund getreten und die Gewohnheit im sparsamen Umgang mit Ressourcen scheint verloren gegangen zu sein. So wurden wir erzogen Geräte nicht mehr zu reparieren sondern zu ersetzten. Die heute in atemberaubenden Tempo alternden Geräte sind so billig gebaut, dass sich eine Reparatur nicht lohnt, weil eine Neuanschaffung meist günstiger wäre. Mit den aktuellen Lieferschwierigkeiten finden sich die Kunden aber in der Situation das sie Ersatz nicht innert nützlicher Zeit erhalten können. Wartezeiten von über sechs Wochen sind nicht unüblich. Und so kann auch eine Produktionslinie wegen eines kleinen Defekts einfach stillstehen. Eine Reparatur würde sich hier absolut lohnen, aber es ist schwierig Spezialisten zu finden welche sich noch mit Fehlerfindung und Behebung auskennen und dann vielleicht sogar noch alternative Komponenten für nicht erhältliche Ersatzteile evaluieren können.
Ein Wendepunkt scheint aber in Sicht: Mit dem European Green Deal ist ein Rahmen zur nachhaltigen Produktentwicklung gesetzt worden, welcher diesen Missständen entgegenwirken soll. So soll die Wirtschaft kreislauffähig gestalltet werden und Produkte wieder so konzipiert sein, dass sie sparsam mit Rohstoffen umgehen, sinnvoll gewartet werden können und die Abfälle rezykliert werden können. Dieses Umdenken bietet für die Wirtschaft natürlich viele neue Herausforderungen, kann aber auch mindestens so viele Chancen bedeuten. Drei wesentliche Konzepte dabei sind: Right-to-Repair, Design-for-Repair und Design-for-Recycling.
Right-to-Repair
Das Europäische Parlament möchte im dritten Quartal 2022 Regeln zum Recht auf Reparatur beschliessen, welche von Herstellern elektrischer und elektronischer Geräte verlangt, dass diese wären mindestens 10 Jahren nach Markteinführung repariert werden können, auch von unabhängigen Dienstleistern oder vom Kunden selbst. Diese Forderung kommt von Konsumenten welche darauf angewiesen sind, dass ein Gerät bei Defekt schnell und unkompliziert wieder Betriebsbereit wird. Diese Anforderung kommt aber immer wieder von Quasi-Monopolisten unter Beschuss.
Ein bekanntes Beispiel ist ein Traktorenhersteller der von seinen Kunden verlangt, dass jegliche Servicearbeiten nur von autorisiertem Personal vorgenommen werden darf. Das wird zum Problem wenn das Wetter drängt aber das Gefährt in der Hälfte der Ernte liegen bleibt und mehr als 100 km zur nächsten Fachwerkstatt geschleppt werden soll, auch wenn eine Reparatur vor Ort trivial wäre und vom Bauer selbst vorgenommen werden könnte.
Weiter möchte die Regelung die Obsoleszenz in den Griff bekommen. Einige Produkte und Geräte sind so dimensioniert, dass sie nur eine beschränkte Lebensdauer haben. Die Hoffnung der neuen Regelung ist, dass die Hersteller die Geräte so verbessern, dass diese länger halten und so einer (kostspieligen) Reparatur oder Ersatz entgehen. Eine verlängerte Nutzungsdauer würde der Menge an Elektroschrott direkt entgegenwirkt.
Interessanterweise sind hier immer wieder mal die Hersteller von Leuchtmitteln im Fokus (Man erinnere sich an das Phoebuskartell von 1925 bis 1942). Die Hersteller der LED-Birnen standen in der Kritik die elektronischen Komponenten der Birnen zu schwach zu dimensionieren um mehr Produkte verkaufen zu können. Daraufhin entschied sich Sheikh Mohammad Bin Rashid Al Maktoum von Dubai die Glühbirnenhersteller dazu zu verdonnern ihre Leuchtstäbchen in den LED-Glühbirnen bei maximal einem viertel der originalen Leistung zu betreiben. Um die gleiche Lichtleistung zu erhalten mussten entsprechend mehr dieser LED-Elemente pro Birne eingebaut werden. Das Ergebnis war, dass die Lebensdauer drastisch erhöht wurde.
Design-for-Repair
Natürlich bedingt die Möglichkeit einer Reparatur auch, dass die Geräte entsprechend designed und gebaut sind. Ultraschallverschweisste oder verklebte Gehäuseschalen müssen wieder durch Schnapp und Schraubverschlüsse ersetzt werden. Die internen Komponenten müssten wieder mit Hinblick auf Zugreifbarkeit platziert werden und Servicezeiten kurz zu halten und unnötiges Auseinanderbauen von verschachtelten Modulen und Komponenten zu verhindern.
Die Forderung nach Reparierbarkeit sieht auch vor, dass Drittanbieter von Reparaturwerkstätten und Private die nötigen Mittel erhalten um Reparaturen durchführen zu können. Das beinhaltet das Angebot von Ersatzteilen und -Modulen sowie von Service-Anleitungen und Know-How Plattformen zur Fehleridentifizierung. Es könnte also gut sein, dass wir in Zukunft wieder vermehrt Instruktionen zur Fehlerfindung, Reparatur oder sogar Schemas in unseren Bedienungsanleitungen finden.
Design-to-Recycle
Wenn alle Stricke reissen und eine Reparatur trotz allem nicht wirtschaftlich realisierbar ist, wird die Elektronik dann natürlich ersetzt und das defekte Teil fachgerecht entsorgt. Mit dem aktuellen Stand der Technik in der Schweiz bedeutet dies heute meist eine manuelle Zerlegung und Separierung mit anschliessender Pyrolyse und Rückgewinnung möglichst vieler Rohstoffe. Dank der schweizweiten vorgezogenen
Entsorgungsgebühr für Elektronik und Elektrogeräte können sich auch lokale Recyclingunternehmen um den Elektroschrott kümmern.
Global ist dies aber bei weitem nicht die Norm. Und so werden weltweit nur gerade 17.4% der E-Wastes rezykliert. Der Rest landet in Abfallhalden. Und das ist wegen der Toxizität der elektronischen Komponenten ein Überproportional grosses Problem. Obwohl E-Müll “nur” 2% der gesamten Abfallmenge ausmacht ist es für 70% der der Toxizität verantwortlich. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass elektronische Geräte bereits zur Konzeptphase mit dem Gedanken an die spätere Entsorgung und Rückgewinnung der Rohstoffe entwickelt werden.
Um die obigen drei Konzepte zu meistern wird es nötig werden Fachkräfte in der Elektronik auszubilden welche mit den Anforderungen an nachhaltiges Produktdesign vertraut sind. Ausserdem werden neue Business-Modelle benötigt welche ohne stetig wachsenden Produktabsatz auskommen können.
In den letzten 25 Jahren wurden in der Schweiz vermehrt Informatiker und Software-Ingenieure ausgebildet, welche dringend für die Digitalisierung benötigt wurden. Die Hardwareproduktion und Entwicklung aber wurde vielfach ins Ausland verlagert, wodurch weniger Bedarf an Hardware-Spezialisten bestand. Diese Fachkräfte haben auf Software oder Embedded umgesattelt, sind nun in Managementpositionen oder bereits pensioniert.
So sind heute Spezialisten welche sich noch mit Hardware-Design, Produktions-Prozessen, Wartung oder Reparatur auskennen meist dünn gesät. Zur Sicherung der Lieferketten wird es aber wohl nötig werden wieder vermehrt in Europa oder der Schweiz selbst zu entwickeln und produzieren. Wie schnell die Kapazitäten und das Know-How dazu wieder hochgefahren werden können muss sich noch zeigen.
Eine gute Chance ist aber die Implementation von neuen Businessmodellen, welche eine Wertschöpfung generieren kann ohne immer neue Produkte verkaufen zu müssen. Hierzu könnte anstelle der Produkte deren zentrale Dienstleistung als Abonnement angeboten werden. So genannte Subscription-Dienste sind uns bereits von Telekom-, Internet- oder Cloud-Anbietern bekannt. Die Geräte um den Dienst beanspruchen zu können werden dabei vom Dienstleister leihweise zur Verfügung gestellt, gewartet und aktualisiert. Damit hat der Anbieter des Dienstes ein Interesse daran Geräte einzusetzen welche eine längere Einsatzdauer bieten.
Ähnliches könnte sich etwa auch bei Haushaltsgeräten, Raumklima oder Beleuchtung durchsetzen. Verschiedene Beleuchtungsfirmen bieten bereits Lighting as a Service (LaaS), also Licht als Dienstleistung und übernimmt von der Planung über Montage und Wartung bis hin zu den Stromkosten den gesamten Beleuchtungsbetrieb. Der Kunde wählt dabei nur Helligkeit und Nutzungsdauer. Durch Optimierungen der Effizienz und Lebensdauer kann der Diensteanbieter dann die Marge verbessern und hat so einen Ansporn immer nachhaltiger zu werden.
Offene Fragen gegenüber dieses Dienstleistungsmodells beschäftigen sich vor allem mit Sicherheitsbedenken, wenn kritische Infrastruktur an externe Betreiber abgegeben werden soll. Flughäfen sind hier aber ein positives Beispiel wie Betreiber und Servicedienstleister auch in komplexen Verhältnissen gut zusammen funktionieren können. Es wird sich also zeigen wie und in welcher Art die Wertschöpfung in einer nachhaltigen Wirtschaft funktionieren kann.
Infoservice
Roland Grimmer, Grimmer Elektronik Oberdorfstrasse 5, 8934 Knonau
Tel. 079 235 46 97 roland@grimmer-elektronik.ch www.Grimmer-Elektronik.ch
Artikel ist erschienen im Polyscope 07/2022