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und Architekt:innen der Schweiz, mit über 11‘000 Mitgliedern aller Fachrichtungen,
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Swiss Engineering...
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…fördert die Bildung dank dem weitreichenden Netzwerk, mit starker Stimme in
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
…vernetzt die Ingenieur:innen und Architekt:innen und bietet technische und
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Quantencomputer: Aus dem Labor ins Rechenzentrum
STZ, März 2021 - Quantencomputer versprechen bisher unlösbare Aufgaben zu lösen. Die heutigen Quantencomputer stecken jedoch noch in den Kinderschuhen. Das dürfte sich bald ändern. IBM will bis Ende 2023 mit der Entwicklung von Hard- und Software so weit kommen, dass Quantencomputer geeignete Aufgaben besser lösen können als konventionelle Grossrechner. IBM Fellow und Forscherin Heike Riel spricht im Interview über den aktuellen Stand und die Fortschritte bei den Quantencomputern.
Heike Riel, wozu brauchen wir überhaupt Quantencomputer?
Bisher konnte man die Leistungsfähigkeit von herkömmlichen digitalen Computern immer weiter erhöhen, weil man es geschafft hat, auf der gleichen Fläche immer mehr Transistoren unterzubringen. Das wird jedoch immer schwieriger. Wir stossen an unumgängliche, physikalische Grenzen, die eine weitere Miniaturisierung der Transistoren in Zukunft verhindern. Gleichzeitig lassen künstliche Intelligenz, Machine Learning und gigantische Datenmengen die Anforderungen steigen. Beim Supercomputing beispielsweise möchte man für komplexe Simulationen verschiedene, ausgeklügelte multiskalige Modelle verwenden, welche heute gleichzeitig Daten in Simulationen generieren und miteinander in hoher Frequenz teilen. Darauf laufen dann gleichzeitig Machine- Learning-Modelle, die den Fokus der Simulation steuern, um anormale Aktivitäten und Verhalten zu finden. Moderne Grossrechner, wie der Supercomputer «IBM Summit», sind für solche Aufgaben ausgelegt. Man hat in den Rechenknoten IBM Power-P9-Prozessoren und GPUs, also Grafikprozessoren, mit sehr viel Speicher und enormer Bandbreite geschickt kombiniert. Mit dieser Architektur konnte man die Performance signifikant erhöhen auf 200 Billiarden Berechnungen pro Sekunde – oder 200 Petaflops und gleichzeitig die Energiemenge, die für die Berechnungen gebraucht wird, reduzieren. So arbeitet man sich auf dem Weg zum Exascale-Computer vor – also einem Computer der 1018 Gleitkommaoperationen pro Sekunde ausführen kann. Aber die Frage ist: Wie können wir danach weitergehen? Es wird also eng für klassische Computer. Darüber hinaus gibt es mathematische Probleme, die auch ein Exascale-Computer nicht lösen kann. Hier kommen die Quantencomputer ins Spiel. Sie sind nicht mehr nur Konzepte, Quantencomputer sind Realität geworden.
Wozu können Quantencomputer, die es heute bereits gibt, eingesetzt werden?
Bei IBM haben wir eine Roadmap vorgelegt, die aufzeigt, wie wir in den kommenden drei bis vier Jahren die Prozessoren für das Quantencomputing weiterentwickeln werden und gleichzeitig die End-to-End-Software- Architektur inklusive Anwendungen integrieren. Es gibt bestimmte Klassen von Problemen, die sich anbieten, mit Quantencomputern gelöst zu werden. Beispielsweise die Simulation von Molekülen und Materialien. Ein anderes Beispiel sind Monte-Carlo-Simulationen oder Optimierungsaufgaben, wie sie im Bank- und Finanzbereich häufig eingesetzt werden, beispielsweise bei der Risikoanalyse oder beim Festlegen von Optionspreisen. Ein Teil unserer Forschung besteht darin, Algorithmen für unterschiedliche Anwendungen zu entwickeln und zu verbessern. Dies beinhaltet auch zu belegen und zu verifizieren, dass Quantencomputer für diese Aufgaben besser geeignet sind als herkömmliche Rechner. Hierbei arbeiten wir auch mit verschiedenen Partnern in Industrie und Akademie zusammen, um interessante industrierelevante Probleme zu identifizieren.
«Quantencomputer sind nicht nur Konzepte, sie sind Realität geworden.»
… aber wir sind jetzt in einer Phase, wo es zwar Quantencomputer gibt, aber wo man sie ausschliesslich nutzt, um Anwendungen zu entwickeln und zu demonstrieren?
Im Moment gibt es keine kommerzielle Nutzung von Quantencomputern, die einen Mehrwert gegenüber einem klassischen System brächte. Aber die Entwicklung von Hardware und Anwendungen folgt einer steilen Entwicklungskurve. Quantenhardware hat sich in den vergangenen fünf Jahren enorm entwickelt, von 5 Qubits in 2016 zu 65 Qubits im letzten September. Und dieses Jahr wollen wir 127 Qubits zeigen. Unser Ziel ist es, dass wir Ende 2023 an den Punkt gelangen, an dem wir den Vorteil von Quantencomputern für bestimmte kommerzielle Anwendungen zeigen. Zu diesem Zeitpunkt wird noch nicht jedes Problem mit Quantencomputern gelöst werden können. Aber dann wird es mit jeder Verbesserung einen Schritt weitergehen.
Was sind noch die Schwierigkeiten bei der Hardware? Was muss man noch verbessern?
Zum einen braucht man mehr Quantenbits, und man muss deren Qualität weiter verbessern. Die Quantenbits, die wir heute haben, sind noch fehlerbehaftet. Deshalb überlegt man sich bei der Entwicklung der Algorithmen, wie man mit diesen fehlerhaften Qubits Rechnungen ausführen kann. Wir arbeiten auch daran, fehlerkorrigierte Quantenbits zu erzeugen, mit denen man dann universell einsetzbare Quantencomputer bauen kann.
Die Prozessoren in den Quantencomputern von IBM müssen auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt gekühlt werden. Steht der dafür nötige technische Aufwand einer praktischen Nutzung im Weg?
Das hat man sehr gut im Griff. Die Kryostaten haben sich über die letzten Jahre enorm weiterentwickelt, sodass sie heute in geschlossenen Kreisläufen auf Knopfdruck funktionieren. Von daher ist der Umstand, dass die Quantencomputer bei Temperaturen von 10 bis 20 Millikelvin arbeiten müssen, keine Barriere mehr. Schon heute haben wir Quantencomputer in unsere Rechenzentren gebracht und ihre Rechenleistung kann über die Cloud konsumiert werden, genauso wie die konventioneller Grossrechner. Unsere ersten Quantencomputer vor fünf Jahren, standen in speziellen Laboren, heute funktionieren sie jedoch schon sehr robust und mit hoher Verfügbarkeit im IBM-Datencenter. Und die Kollegen, die dort arbeiten, müssen auch keine Quantenphysiker mehr sein, um die Rechner zu betreiben. Natürlich ist ein Quantencomputer kein Gerät, das man in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der Hosentasche herumtragen wird. Aber das braucht man auch nicht.
«Natürlich ist ein Quantencomputer kein Gerät, dass man in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der Hosentasche herumtragen wird. Aber das braucht man auch nicht.»
Werden Quantencomputer die herkömmlichen Rechner verdrängen, oder werden sie diese eher ergänzen?
Um auch die anspruchsvollsten Rechenaufgaben effizient zu bearbeiten, brauchen wir in Zukunft eine Kombination aus normalen Bits, Quantenbits und Neuronen, die nahtlos zusammenarbeiten. Für den Nutzer steht nicht die Technologie im Vordergrund, sondern dass das Problem bestmöglich gelöst wird. Das heisst, die zugrunde liegende Technologie ist dem Nutzer im Endeffekt egal. Das Ziel ist, dass ein Anwender, der beispielsweise Moleküle konstruiert oder Optimierungsprobleme löst, mit seiner gewohnten Software weiterarbeiten kann. Sein Problem wird dann in der Ebene darunter zerlegt und auf den Maschinen gelöst, die dafür am besten geeignet sind. Das ist für uns die Zukunft des Computings.
Es sieht so aus, als hätten derzeit die USA und Asien die Nase vorn bei den Quantencomputern. Ist zu befürchten, dass wir in Europa bei dieser Technologie den Anschluss verlieren?
Ich denke nicht. Es gibt enorme Investitionen und sehr fähige Forschungsgruppen in Europa. Viele Länder investieren derzeit sehr viel Geld, um eigene Quantencomputer zu bauen – obwohl es bereits Quantencomputer gibt und deren Weiterentwicklung auch rasch fortschreitet. Dies darf man nicht übersehen und muss jetzt auch in die Nutzung der Quantencomputer investieren. Firmen, die diese Technologie nutzen wollen, können nicht zehn Jahre warten, bis jeder seinen eigenen Quantencomputer gebaut hat. In Ehningen in der Nähe von Stuttgart wird demnächst der erste Quantencomputer ausserhalb der USA stehen, der für Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen über ein Fraunhofer-Kompetenznetzwerk zugänglich ist. Das ist für uns ein toller Erfolg. Wir wollen die Zusammenarbeit der verschiedenen Nutzer fördern. Meiner Meinung nach sollten Quantencomputer keine Prestigeobjekte sein, die dann von einzelnen Akteuren oder in einzelnen Ländern exklusiv genutzt werden. Genau wie heute jeder konventionelle Computer nutzen kann, sollte auch der Zugang zu Quantencomputern für alle möglich sein – unabhängig davon, wo sie erfunden oder gebaut wurden. Wir haben bereits heute einige Quantencomputer über die Cloud zugänglich gemacht. Hier kann sich jeder einloggen und Quantencomputer benutzen.
Zur Person: Heike Riel
Heike Riel ist IBM Fellow, Head of Science & Technology und Lead of IBM Research Quantum Europe & Africa bei IBM Research in Rüschlikon. Sie ist ausserdem stellvertretende Direktorin des schweizerischen Nationalen Forschungsschwerpunkts «SPIN: Spin-Qubits in Silizium». Heike Riel erhielt verschiedene Preise und Ehrungen. Beispielsweise wurde sie zum Mitglied der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) und zum Mitglied der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gewählt. Sie erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Lund und wurde 2020 zum Fellow der American Physical Society gewählt.
Interview: Hendrik Thielemann
Bildquelle: IBM Research
Artikel aus der STZ: Ausgabe März 2021
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