Mit Hightech auf Ballhöhe
Das Bild ging um die Welt: Superstar Zlatan Ibrahimovic in schwarzer Unterhose und schwarzem BH. Im Sommer 2013 war das. Der Schwede, damals in Diensten von Paris Saint-Germain, stand also da, mitten auf dem Rasen, bekleidet nur mit Unterwäsche, von der viele dachten, es gäbe sie nur für Frauen. Die Sportwelt rätselte damals noch, wofür Fussballer einen Sport-BH brauchen. Inzwischen sind die schwarzen Träger, in denen ein Sensor eingebaut ist, der GPS-Daten und Pulsfrequenz aufzeichnet, bei Profiklubs Standard: Zurückgelegte Kilometer, erfolgreiche Zweikämpfe, gelungene Pässe – all das ist mittlerweile für Trainer und auch Zuschauer verfügbar. Ob die Taktik des Teams aufgeht, und wie erfolgreich die Spieler die Vorgaben des Coaches umsetzen, kann mit diesen Parametern jedoch nicht bestimmt werden. Die Ingenieurinnen und Ingenieure im BFH Zentrum Technologien in Sport und Medizin gehen nun zwei Schritte weiter. Die Sache mit den bekannten GPS-Brustgürteln ist nämlich die: Die Auswertung der Daten jedes einzelnen Spielers dauert sehr lange. Genau dort setzt das BFH-Zentrum mit seiner Software- Entwicklung StreamTeam an: Die mit Local Positioning Measurement System (LPMS) erfassten Trackingdaten werden von Stream- Team analysiert. LPMS, das genaueste und schnellste Trackingsystem, das im Spielsport eingesetzt wird, bestimmt die Positionen der Spieler bis zu 45 Mal pro Sekunde auf etwa 3 Zentimeter genau. StreamTeam verarbeitet diese Positionsdatenströme und erkennt anhand vorab definierter Algorithmen Teamereignisse. Aus Einzeldaten werden so elementare «Events» wie etwa ein Pass, ein Torschuss, ein Sprint oder ein Dribbling. Aus diesen Events lassen sich Muster herauslesen, was eine taktische Analyse ermöglicht. «Ziel ist es, diese Informationen den Trainern während des Spiels auf den Bildschirm zu schicken, damit sie die taktischen Überlegungen mit den physischen Faktoren verbinden können », sagt Martin Rumo, Leiter der Fachstelle Sporttechnologie des Bundesamtes für Sport (BASPO). Er ist gleichzeitig Co-Leiter des BFH-Zentrums Technologien in Sport und Medizin und dort verantwortlich für den Bereich Sport. Die Software wurde gemeinsam mit Computerwissenschaftlern der Uni Basel und Sportwissenschaftlern des BASPO entwickelt und von der Hasler-Stiftung finanziert.
Heatmap liefert viele Informationen
Auf dem Laptop oder dem Tablet kann man sich dann die sogenannte Heatmap eines Spielers ansehen: Wo hält er sich während des Spiels am häufigsten auf, wie bewegt er sich, wie oft ist er am Ball? StreamTeam liefert Angaben über Pässe und Fehlpässe, Laufwege, Sprints und Pulsfrequenz. Durch die zusätzliche Erfassung der Position des Balles werden taktische Analysen möglich. Welche Spieler stehen bei einem Pass im Abseits? Wie verschiebt sich die Abwehrkette? Wo hat das Team Überzahlsituationen in Ballnähe? Welche Bereiche des Feldes werden zu wenig abgedeckt? So können Trainer live verfolgen, wie erfolgreich ihr Team taktische Vorgaben wie zum Beispiel Pressing oder das Stellen der Offsidefalle erfüllt. Die Trainer sind damit in der Lage, den Spielern unmittelbar Feedback zu geben. StreamTeam ist nur eines von vielen Projekten im BFH-Zentrum Technologien in Sport und Medizin, wo rund 100 wissenschaftliche Mitarbeitende forschen: Ingenieurinnen und Ingenieure, Ärztinnen und Ärzte, Doktorierende und Dozierende für anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung. Weiteres Knowhow liefern Sportwissenschaft- und Medizintechnikinstitute, insbesondere der Universität Bern und der Universität Basel. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht nur Anwendungen im Leistungssport, sondern auch in der Prävention und in der Medizintechnik. «Das ganz grosse Plus des BFH-Zentrums ist für den Bereich Sport die Verbindung der Sportexpertise mit dem Know-how der Ingenieure», sagt Martin Rumo, der Co-Leiter des Zentrums.
Fachleute zusammenführen
Zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte hätten gezeigt, dass sowohl in der Medizintechnik wie auch im Spitzensport oft ähnliche Grundtechnologien zum Einsatz kommen, sagt Prof. Dr. Marcel Jacomet, der Leiter des Zentrums. Deswegen hat das BFH Zentrum Technologien in Sport und Medizin Fachleute aus den verschiedenen Bereichen vereint. Beteiligt sind das Institute for Human Centered Engineering HuCE der BFH und das Institut für Rehabilitation und Leistungstechnologie IRPT der BFH. Als weitere Institutionen sind die Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen EHSM, sowie das Departement Gesundheit der BFH angeschlossen. Dank der modernen Infrastruktur können industrietaugliche Prototypen bis hin zur Null-Serie inhouse hergestellt werden. Das BFH-Zentrum erleichtert Spin-off- und Start-up-Unternehmen den Zugang zu Laborinfrastrukturen. «Erste Start-ups und zahlreiche innovative Anwendungen sind durch diese Partnerschaft bereits entstanden », sagt Zentrumleiter Marcel Jacomet. «Matchentscheidend für angewandte- und damit industrienahe Forschung und Entwicklung an unsere Hochschulen ist der direkte Zugang der Forscher zu einer modernen, industriellen Infrastruktur vor Ort und auch die Einbindung der Forscher in ein Qualitäts-Management System», so Jacomet. Entsprechend ist das Institut HuCE bereits seit mehreren Jahren für ihre Medtech-Aktivitäten ISO-zertifiziert und betreibt auch einen validierten Reinraum für die Herstellung von Medtech-Geräten. Konkret erforscht das Zentrum Mikrotechnologien wie beispielsweise die sogenannte Low-Power-Mikroelektronik, die auf kleinem Raum und mit wenig Energie auskommt, optische Messverfahren, Sensortechnologien, Auswertungsalgorithmen sowie Signal- und Bildverarbeitungen. Diese Technologien und Verfahren werden von Fachleuten aus der Wissenschaft und dem Ingenieurwesen in Zusammenarbeit mit den Sportlerinnen und Sportlern sowie deren Coaches und Fachleuten aus der Medizin weiterentwickelt. Unternehmen und Trainingsgruppen können so eine enge Zusammenarbeit mit Forschungsteams aufbauen, erhalten Zugang zu den neusten Forschungsresultaten und nicht zuletzt zu den Fachkräften von morgen.
Wettbewerbsvorteil durch Datenerhebung
Ziel ist es zum einen, die Leistungsfähigkeit der Sportlerinnen und Sportler zu steigern. Zum anderen sollen den Ärztinnen und Ärzten neue Diagnosetechnologien und Rehabilitationsgeräte zur Verfügung gestellt werden. Vor allem im Spitzensport sind die Mittel längst nicht ausgeschöpft. Durch die zunehmende Vermarktung fliesst enorm viel Geld in den Sport. Spezialisierte Unternehmen liefern Unmengen an Daten zu den Leistungen der Sportlerinnen und Sportler. Die umfangreichen Datenerhebungen während der Trainings und den Wettkämpfen können helfen, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Wenn sie denn richtig genutzt werden.
Mit Sensorik zum perfekten Golfschwung
Ein anderes Beispiel für das Zusammenspiel zwischen Hightech und Sport ist der von der BFH entwickelte Golfschläger, mit dem Anfänger zum perfekten Schwung verholfen werden soll. «Wir wurden angefragt, ob es möglich wäre, einen Sensor zu entwickeln, der die Position der Hände und den Druck auf den Schläger erfasst», sagt Professor Dr. Bertrand Dutoit vom Institute for Human Centered Engineering HuCE der BFH. «Für einen Anfänger ist es wichtig, die genaue Position und die Druckverteilung auf dem Schläger zu kennen», so Dutoit. Das System, das im Auftrag der Firma EOSwiss Engineering entwickelt wurde, besteht aus vier Teilen: Wichtigstes Element ist der Sensor am Schlägergriff. Um die Daten des Sensors zu berechnen, braucht es ausserdem eine Recheneinheit, welche die Daten über Bluetooth auf einem Bildschirm abbildet. Schliesslich benötigt man eine Stromquelle (Batterien, Akku). Eine besondere Herausforderung stellt der geringe zur Verfügung stehende Platz im Griff des Golfschlägers dar. Die Elektronik muss nicht nur klein, sondern auch noch möglichst leicht sein, um die Balance des Schlägers nicht zu verändern. Da die meisten auf dem Markt erhältlichen Drucksensoren eine fixe Grösse haben, sei es schwierig gewesen, einen Sensor zu finden, der genau auf den Schläger passt, sagt Bertrand Dutoit. Sein Team entschied sich deshalb, selbst einen Sensor zu entwickeln. Während des Trainings können jetzt Golflehrer mit ihren Schülern mit dem an der BFH entwickelten Golfschläger die Druckstellungen der Hände und der Finger auf dem Bildschirm analysieren. Damit ist es möglich, in einer Grafik und mit Zahlen darzustellen, wie sich der perfekte Schlag anfühlt.
Zusammenspiel Sport-Medizin
Die Sensortechnik kann für alle Handsportgeräte angewendet werden, zum Beispiel auch für Tennis, Squash oder Badminton. Von grossem Nutzen kann sie auch in der Medizintechnik sein. So können etwa nach einer Handoperation Funktionsdiagnosen durchgeführt und die Rehabilitation grafisch und in Zahlen dargestellt werden. Dieses Projekt ist ein Musterbeispiel dafür, wie Technologien für Sport und Medizin ineinandergreifen. Doch allen technologischen Hilfsmitteln zum Trotz: Den Ball ins Loch oder ins Tor bringen, das müssen die Sportlerinnen und Sportler nach wie vor selbst erledigen.
Autor: Thorsten Kaletsch
Bildquelle: Shutterstock
Artikel aus der STZ: Ausgabe Dez. 2019