Wie Russ auf die Welt kommt
STZ, Dezember 2020 - Für Kaminfeger ist Russ eine Ablagerung, die zur Vermeidung von Kaminbränden weggebürstet werden muss. Für Ärzte ist Russ feiner Staub, der die Lungen schädigt. Wieder anders für Chemiker: Für sie ist Russ eine Ansammlung von kohlestoffhaltigen Molekülen. Die Partikel sind das Ergebnis einer Verbrennung. In einem vom BFE unterstützten Forschungsprojekt haben Chemiker am Paul-Scherrer-Institut die ersten Stufen dieses Prozesses untersucht. Die Ergebnisse der Grundlagenfoschung könnten zu saubereren Verbrennungsmotoren führen und bei der Herstellung von Biotreibstoffen helfen.Es mag sich überraschend anhören, doch Russ ist ein Lebenselixier der Menschheit. In den frühen Hochkulturen der Ägypter und Chinesen wurde das schwarze Kohlenstoffpulver aus der Verbrennung von Harzen und Pflanzenölen gewonnen und zu kostbaren Tinten und Tuschen verarbeitet, die der Schrift und der Kunst den Weg bahnten. Über Jahrhunderte blieb die Herstellung von erstklassigem Russ eine in vielen Spielarten erprobte Kulturtechnik. Im 19. Jahrhundert wurde Russ zu einem begehrten Grundstoff der industriellen Produktion: Aus Erdgas gewonnener Industrieruss dient beispielsweise als verstärkender Füllstoff für die Reifenproduktion.
Heute nimmt die breite Öffentlichkeit vor allem die problematische Seite von Russ wahr. Das Nebenprodukt aus unvollständigen Verbrennungsprozessen gilt als schmutzig und gesundheitsschädigend. Die Weltgesundheitsorganisation hat 2012 die feinen Russpartikel von Dieselmotoren als krebserregend eingestuft. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Durch optimierte Verbrennungstechnik und Partikelfilter lassen sich die Feinstaubemissionen stark vermindern. Die Filter entfernen über 99 Prozent der Russteilchen aus den Abgasen.
Mehrere Hundert Reaktionsschritte bis zum Russteilchen
«Wollen wir Russemissionen in Zukunft weiter reduzieren, müssen wir verstehen, wie Russ entsteht», sagt Dr. Patrick Hemberger, Chemiker am Paul-Scherrer-Institut PSI in Villigen (AG). Die Bildung von Russ während der Verbrennung ist ein komplexer Vorgang, den die Wissenschaft noch nicht in allen Einzelheiten versteht. Das hängt auch mit den sehr kurzen Zeiträumen zusammen, in denen Russ entsteht. Der Blick auf einen Dieselmotor mag das veranschaulichen: Läuft dieser mit 3600 Umdrehungen pro Minute, zündet das Treibstoffgemisch im Zylinder 30 Mal pro Sekunde. Der Verbrennungszyklus nimmt rund ein Viertel dieser Zeit in Anspruch, also rund acht Millisekunden. Ein sehr kurzer Zeitraum – für den Russforscher aber noch immer sehr lange. Der chemische Prozess der Russbildung dauert nämlich einen Bruchteil dieser Zeit, nur wenige Mikrosekunden. Auf diesen Zeitraum fokussieren Forscherinnen und Forscher am PSI, wenn sie die Bildung von Russ untersuchen. Heute weiss man: Der chemische Prozess der Russbildung läuft in mehreren Hundert Reaktionsschritten ab. «Wir konzentrieren uns in unserer Forschung auf die ersten ein, zwei dieser mehreren Hundert Reaktionsschritte auf dem langen Weg zum Russpartikel», sagt Hemberger. Ganz am Anfang steht ein einfaches Molekül, wie es beispielsweise aus Dieseltreibstoff durch Abspaltung eines Wasserstoffatoms entsteht. Dieses Molekül oxidiert entweder mit Sauerstoff – oder es sucht sich andere Reaktionspartner und wird dann zu Russ. Im zweiten Fall bindet das Russ-Vorgängermolekül in mehreren Hundert Schritten immer neue Kohlen- und Wasserstoffatome beziehungsweise Kohlenwasserstoffmoleküle an sich. So entsteht ein Gebilde aus mehreren Tausend Atomen, das wir als Russpartikel kennen. Die wichtigsten zwei Vorgängermoleküle sind die Kohlenwasserstoffe Benzol (C6H6) und Naphthalin (C10H8).
Russbildung von Einzelmolekülen und in Gasproben
In einem vom Bundesamt für Energie (BFE) unterstützten Forschungsprojekt ist es den PSI-Forschern gelungen, die Eigenschaften verschiedener Russ-Vorläufermoleküle zu beschreiben und die Dauer einzelner Reaktionsschritte zu bestimmen. Diese Untersuchungen wurden an der Synchroton-Lichtquelle Schweiz des PSI durchgeführt, einer kreisrunden Grossforschungsanlage, deren Beschleunigertunnel einen Umfang von 288 Metern hat. Mit dem hier erzeugten Licht sind Einblicke in Gewebe und Materialien bis auf die Ebene einzelner Atome möglich. Deshalb wird die Anlage auch als sehr leistungsfähiges «Mikroskop» beschrieben, das unter anderem Versuche mit vakuumultraviolettem Licht erlaubt. Die Wissenschafter interessierte nicht nur die Russbildung aus einzelnen Vorläufermolekülen, sondern auch das Zusammenspiel vieler Moleküle, wie es bei der Russbildung in einer Flamme zu beobachten ist. Ein Ergebnis dieser Forschung, das hier beispielhaft genannt werden soll, bezieht sich auf die Allylradikale (C3H5). Diese Kohlenwasserstoffe sind ein Zwischenprodukt des Russbildungsprozesses. In einer internationalen Kollaboration konnten die Forscherinnen und Forscher zeigen, dass der Oxidationsprozess dieser Moleküle unter bestimmten Bedingungen weniger als eine Millisekunde dauert. Kennen Chemiker die Reaktionsgeschwindigkeit (Ratenkonstante) eines Moleküls, können sie daraus ableiten, wie sich dieses im Verlauf des Russbildungsprozesses voraussichtlich weiterentwickelt.
Mikroskop für sehr kurzlebige Moleküle
Die Russbildung bei einem Verbrennungsprozess geschieht in wenigen Sekundenbruchteilen. Mit klassischen Spektroskopiemethoden kann man die Zusammensetzung von Gasproben bestimmen. Das gelingt jedoch nur, wenn die Stoffe stabil sind und eine Lebensdauer von mehr als ein paar Minuten haben, womit Zwischenprodukte nur indirekt nachweisbar sind. Moderne Forschungsgeräte machen es möglich, solche Entstehungsprozesse auch direkt zu beobachten. Am PSI wird dafür eine spezielle Messmethode eingesetzt: die Photoelektronen-Photoionen-Koinzidenzspektroskopie (PEPICO). PEPICO erlaubt die detaillierte Identifizierung von kurzlebigen Gasproben, die nur während Mikrosekunden bestehen, bevor sie zu anderen Stoffen reagieren.
Die PSI-Forscher führen ihre Experimente an der "Synchroton Lichtquelle Schweiz" (SLS) durch; im ringförmigen Tunnel der SLS werden Elektronen beschleunigt, die dann eine spezielle Art Licht abstrahlen. Diese sogenannte Synchrotronstrahlung wird an 20 Experimentierplätzen für Untersuchungen verschiedener Art genutzt. An einem untersucht Patrick Hemberger mit seinem Team Russbildungsprozesse.
Neue Verbrennungsmodelle
Auf der Grundlage von Ratenkonstanten und weiteren Forschungsergebnissen können Wissenschafter Modelle formulieren, welche die Russbildung mathematisch beschreiben. Diese bilden einen Mosaikstein zur Darstellung von Verbrennungsprozessen, wie Patrick Hemberger ausführt: «Unsere Modelle beziehen sich auf einzelne Reaktionszwischenschritte. Bis daraus Computerwerkzeuge hervorgehen, die in der industriellen Motorenforschung eingesetzt werden können, ist es noch ein sehr weiter Weg.» Ein Treibstoffgemisch bestehe aus unzähligen Molekülen, und für jedes von ihnen müssten Informationen zu Reaktionsketten und Sauerstoffkonzentrationen in das Modell einfliessen. Das Gesamtsystem müsste dann nach den Gesetzen der Strömungslehre (Fluiddynamik) modelliert werden, erklärt Hemberger. «Das ist Zukunftsmusik. Motorenentwickler müssen heute noch mit stark vereinfachten Modellen arbeiten.» Auch wenn die Grundlagenforschung am PSI nicht direkt in der Fahrzeugindustrie nutzbar ist, könnte sie mittelfristig emissionsärmere Motoren hervorbringen, wenn beispielsweise vorhandene Modelle gegen Experimente getestet und weiterentwickelt werden. Dies geschieht bereits heute in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Universität Duisburg-Essen. Hier wird die Zusammensetzung gut definierter Flammen analysiert und mit theoretischen Modellen abgeglichen. Längerfristig können Modelle so verbessert und ihre Vorhersagekraft gesteigert werden.
Einbezug von stickstoffhaltigen Russvorläufern
Relevant sind die Erkenntnisse aus der Russbildungsforschung auch für künftige Biotreibstoffe auf der Basis von Ligninen. Lignine sind Makromoleküle, die rund 30 Prozent der Trockenmasse von Pflanzen ausmachen. Diese organischen Verbindungen können bei hohen Temperaturen mittels katalytischer Pyrolyse (Umwandlung unter Ausschluss von Sauerstoff) gespalten werden – ein Verfahren, das schon früher in Krisenzeiten zur Herstellung von Holzgas verwendet wurde. Jedoch ist der Prozess bislang nicht sehr effizient und lohnt sich kaum. Gefragt sind somit optimierte Verfahren und bessere Katalysatoren. Die Voraussetzung dafür schafft ein tiefergehendes Verständnis der zugrundeliegenden chemischen Prozesse, auf das die Forscherinnen und Forscher des PSI hinarbeiten. Auf diesem Weg könnten in Zukunft – unterstützt durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) – nachhaltige Biotreibstoffe hergestellt werden. Unter Einbezug von spezifischen Katalysatoren und unter genau eingestellten Reaktionsbedingungen liessen sich ferner vielfältige Feinchemikalien produzieren, wie die beteiligten Wissenschafter hoffen. Mit einem neuen Forschungsprojekt sollen am PSI die Arbeiten der letzten Jahre fortgesetzt und neue Erkenntnisse gewonnen werden. Die Grundidee besteht darin, in die Betrachtung von Russbildungsprozessen neu auch Stickstoff mit einzubeziehen. Das ist eine relevante Frage, weil die für Mensch und Umwelt schädlichen stickstoffhaltigen Russvorläufer beispielsweise in der Biotreibstoffverbrennung entstehen können. Eine zusätzliche Motivation betrifft die Verbrennung von Kohlenwasserstoff/Ammoniak-Gemischen in Gasturbinen, die weltweit vorangetrieben wird. Dafür müssen erweiterte chemische Modelle entwickelt werden, um diesen Prozess gut beschreiben zu können.
Autor: Benedikt Vogel im Auftrag des BFE
Bildquellen: B. Vogel, P. Hemberger
Artikel aus der STZ: Ausgabe Dezember 2020
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