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Wärmeverbund für eine nachhaltige Energieversorgung

3600 kW und die Nutzung der Lengnauer Industrie-Abwärme durch einen Wärmeverbund sollen ab 10. Oktober 2020 rund eine Million Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. «WärmeLengnau» ist ein gemeinsames Projekt der Einwohner- und der Burgergemeinde Lengnau. Philipp Grob, Inhaber und Geschäftsführer von ennovatis Schweiz AG und Mitglied von Swiss Engineering, und Monika Gribi, Geschäftsführerin der Burgergemeinde und des Wärmeverbunds Lengnau, sprachen darüber mit der Verbandsredaktion von Swiss Engineering.

 

Interview mit Philipp Grob


Philipp, du bist Gesamtprojektleiter, was waren die Herausforderungen bei der Planung des Wärmeverbundes Lengnau?
Die Gesamtprojektleitung sowie die energie-technische Planung haben wir aus einer Hand angeboten. Die Koordination zwischen den vielen Schnittstellen war herausfordernd. Einerseits gibt es da die Schnittstellen mit den Beteiligten auf politischer Ebene und andererseits mit denjenigen, die am Bau beteiligt sind. Ausserdem muss die Branche weiterhin einen Fachkräftemangel hinnehmen.   


Wieso ist ein Wärmeverbund bezüglich CO2 besser als eine Lösung mit einzelnen Heizungen? 
Da spielen mehrere Faktoren mit. Beim Fernwärmeverbund Lengnau werden 10 bis 15 Prozent der Energie aus der Abwärme von benachbarten Grossindustriebetrieben genutzt. Rund 80 Prozent der Energie wird mit Holz aus der Region (Radius < 10 km) er-zeugt. Es werden unzählige Öl- und Gasheizungen durch Fernwärme abgelöst. Allein mit den ersetzten Ölheizungen kann eine Million Liter Heizöl pro Jahr eingespart werden.   

Was ist die «Spezialität» des Wärme-verbundes Lengnau?
 Der Wärmeverbund Lengnau kann eine voll-ständige Digitalisierung vorweisen. Aktuelle Daten sind – selbstverständlich unter Einhaltung des Datenschutzes – jederzeit und über-all vorhanden. Die Wärmeverbräuche der einzelnen Nutzer werden mit Smart-Metern erfasst, welche neu bereits bei den Kunden der Energie- und Wasserversorgung Lengnau eingeführt wurden und die Verbräuche 15-Minuten-genau erfassen.   

Wie wirkt sich die Zusammenarbeit mit Behörden auf den Projektablauf aus?  
Die Gemeinderäte haben sich seit Beginn stark für das Projekt eingesetzt, was eine gute Zusammenarbeit nach sich zog. In Bezug auf den Fernwärmeleitungsbau dauerte es ein Weilchen, bis die Akzeptanz bei den am Tiefbau beteiligten Mitgliedern vollständig vorhanden war.     

Was sind Einwände oder Hürden für die Hauseigentümer, sich an einem Wärmeverbund zu beteiligen oder die Wärme des Verbundes zu kaufen?  
Die Investitionskostenhürde für den Wechsel zum Wärmeverbund ist gegeben, da die Investitionskosten für einen Hausanschluss höher sind als bei anderen Heizarten. Im Gegenzug kann danach bei den laufenden Kosten viel eingespart werden. Die Lebens-zykluskosten mussten den Eigentümern plausibel aufgezeigt werden, damit wir sie für den Wärmeverbund gewinnen konnten.   

Gäbe es noch Optimierungspotential beim Wärmeverbund Lengnau?
Nach der Inbetriebsetzung der Anlage wer-den wir diese dank der smarten Energie-Monitoring-Software optimieren können. Input und Output werden bestmöglich aufeinander abgestimmt, was nochmals eine höhere Energieeffizienz mit sich bringt.    


Was würdest du einer Ingenieurin/einem Ingenieur für die Planung eines Wärmeverbunds empfehlen?  
«Integrale Planung» heisst das Schlüsselwort. Es ist hilfreich, von Beginn weg die verschiedenen Player ins Boot zu holen und deren Bedürfnisse und Anforderungen miteinzubeziehen. So wird eine gute Basis für die künftige Zusammenarbeit gelegt und jeder ist bereit, Kompromisse einzugehen.    


Interview mit Monika Gribi   


Monika Gribi, wie kamen die Einwohner- und die Burgergemeinde auf die Idee, einen Wärmeverbund in Lengnau zu initialisieren?  
Im Leitbild der Burgergemeinde Lengnau stehen die Schwerpunkte «innovativ, umsichtig und nachhaltig». Auch die Einwohnergemeinde definierte vor Jahren das Ziel, das Label als «Energiestadt» zu erlangen und et-was gegen die Klimaerwärmung zu unternehmen. Die Ankündigung eines grossen Pharmakonzerns in Lengnau eine neue Produktionsstätte zu bauen, nutzten die beiden Räte, das Projekt eines Wärmeverbundes gemeinsam voranzutreiben, betrieben durch die Verbrennung von Holzschnitzeln und Abwärme aus Industriebetrieben. Damit ist das Projekt nicht nur nachhaltig, sondern die Wertschöpfung bleibt in der Region. Die benötigten Holzschnitzel werden zu rund 80 Prozent aus der Region stammen.   

Welche Erfahrungen haben Sie in der Zusammenarbeit mit den Ingenieur- innen und Ingenieuren gemacht?  
Die Einwohner- und Burgergemeinde bildeten zur Realisierung des Projektes eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern der beiden Institutionen. Keine der beteiligten Personen hatte je beim Aufbau eines Wärme-verbundes mitgearbeitet oder Ahnung vom Betrieb einer entsprechenden Anlage gehabt. Daher waren wir auf die Mitarbeit von externen Fachpersonen angewiesen. Es wurden Projekte mit unterschiedlichen Ingenieurbüros sowie mit Energielieferanten angedacht, welche bereits Wärmeverbunde realisiert haben und auch betreiben. Bedeutend für die erfolgreiche Zusammenarbeit war, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten aufgenommen werden konnten. So zeigte sich in unserem Projekt, dass eine Beteiligung am Wärmeverbund durch «nicht Gemeindeinstitutionen» im Dorf nicht gewünscht wurde. Entsprechend stellte die Zusammenarbeit für beide Seiten eine Herausforderung dar. Wichtig er-achte ich das beidseitige Vertrauen.

    
Sind sie mit dem Fortschritt des Projekts zufrieden?  
Bis Ende September 2020 soll die Wärmezentrale inklusive der ersten Etappe des Leitungsbaus abgeschlossen sein und wir wer-den Wärme liefern. Die Herausforderung für alle liegt im termingerechten Abschluss, was ziemlichen Druck erzeugt. Persönlich bin ich guten Mutes, dass wir die zu Beginn sehr sportlich gesteckten Ziele schaffen. Das beeinflusst die Zufriedenheit der beteiligten Personen sicher stark. Das Projekt als solches erfüllt mich mit Stolz. Es ist ein gutes Gefühl, etwas für die Nachhaltigkeit und die Wert-schöpfung in der Region zu tun. Mit der Nutzung von Abwärme verpufft die Energie nicht unverbraucht über die Dächer der Industrie. Das Holz der Region wird als Energiequelle sinnvoll genutzt und von regionalen Betrieben aufbereitet. Auch bei der Erstellung der Wärmezentrale wurde auf Nachhaltigkeit geschaut. Es wurde so wenig Beton wie möglich verbaut. Entsprechend sind einzig die Schnitzelsilos aus Sichtbeton. Der gesamte Technik- und Heizraum ist eine Holzkonstruktion aus Schweizer Holz.   

 

Philipp Grob, Gesamtprojektleiter und Monika Gribi, Geschäftsführerin Wärmeverbund Lengnau

 

Interview: Uschi Roth
Artikel aus der STZ: Ausgabe August 2020