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Gestärkt aus der Krise?

STZ, Februar 2021 - Die Corona-Krise bedroht nicht nur Leben und Gesundheit der Menschen, unbarmherzig deckt sie auch Schwachstellen und Versäumnisse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf. Das birgt gleichzeitig Chancen: Mit den richtigen Massnahmen können wir gestärkt aus der Krise hervorgehen. Ein Selbstläufer ist das aber nicht.

Die Pest hat Europa reich gemacht. Das sagt zumindest Joachim Voth, Wirtschaftshistorik-Professor an der Universität Zürich. Kriege und Seuchen hätten die Zahl der Menschen im Mittelalter immer wieder drastisch reduziert – mit dem Ergebnis, dass für die Überlebenden mehr Land pro Kopf und damit auch mehr Ressourcen vorhanden waren. Hundert Jahre nach der ersten Pestwelle sei in Europa ein «goldenes Zeitalter» angebrochen. «Ernährte man sich früher vor allem von Graupelsuppe und Porridge, so gab es jetzt Roastbeef, Käse und viel Bier», lässt sich der Wirtschaftsprofessor auf der News-Seite der Zürcher Uni zitieren.

Die Pest im Mittelalter ist kein Modell dafür, wie unsere Gesellschaft gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen kann. Das behauptet auch Ökonom Voth mit keinem Wort. Aber viele Krisen haben eines gemeinsam: Diejenigen, die sie überstehen, sind danach oft stärker als zuvor. Macht man sich also auf die Suche nach den «positiven Effekten» der Covid-19-Pandemie, kommt man an einem Aspekt nicht vorbei: der Digitalisierung.

 

Mehr Digitalisierung
Corona treibt die Digitalisierung am Arbeitsplatz und im Alltag voran. Die Menschen erledigen ihre Arbeit am heimischen Küchentisch, bezahlen bargeldlos, kaufen im Onlinehandel ein und bilden sich per Fernunterricht weiter. «Die Corona-Pandemie hat zu einem Technologieschub geführt und könnte die Resilienz der Schweizer Wirtschaft stärken», schreiben Benjamin Müller, Rafael Lalive und Maude Lavanchy in ihrem gemeinsamen Beitrag auf der Seco-Internetplattform «Die Volkswirtschaft». Dadurch würden einige Technologien endgültig in der Breite angenommen, während andere Technologien neu ihren Weg in die Arbeitswelt fänden. Diese Aussage der drei Lausanner Wissenschafter könnte man auch negativer formulieren: Das Coronavirus hat uns gezwungen, längst vorhandene Technologien endlich einzusetzen. Statt in unseren Portemonnaies nach kleinen, schmutzigen Münzen zu kramen, halten wir endlich unsere Kreditkarte an das Lesegerät. Statt um die halbe Welt zu fliegen, um uns gegenseitig Powerpoint-Präsentationen zu zeigen, machen wir Videokonferenzen.

«Corona-Hilfsprogramme können den Grundstein für einen nachhaltigen Strukturwandel legen. Wir sollten diese Chance nutzen.»

Jochen Markard, ETH Zürich

 

Gleichzeitig tun sich viele Wirtschaftsakteure schwer mit dem Umschalten auf den digitalen Krisenmodus: Eine Unternehmensbefragung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung in Deutschland ergab, dass vor allem Betriebe, die sich bereits durch einen höheren Digitalisierungsgrad auszeichneten, während des Lockdowns im Frühjahr 2020 digitale Lösungen implementierten, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Insgesamt prognostizieren die Fraunhofer-Forscher dennoch einen Digitalisierungsschub durch Corona, auch in bisher wenig digitalisierten Betrieben.
Auch bei der Unternehmensberatung PwC Schweiz glaubt man, dass Corona die Digitalisierung vorwärtsbringen kann: In einem Thesenpapier mit dem Titel «Covid-19: Stärker aus der Krise», vertreten die Berater die Auffassung, die Krise habe gezeigt, wie anfällig die Schweizer Verwaltung sei, wenn sie nicht physisch zusammenarbeiten könne – nicht nur in der Administration, sondern auch im politischen Betrieb. Die politischen Institutionen, so PwC, könnten dieses Momentum nutzen, um die digitale Transformation zu beschleunigen und das Staatswesen effizienter, smarter, innovativer und bedürfnisorientierter zu machen. Voraussetzung seien Investitionen in die Mitarbeiterkompetenz, in Basisdienste wie elektronische Identität (eID) und elektronische Signatur sowie in die Infrastruktur.

 

Mehr Innovation
Die Wirtschaft braucht in Corona-Zeiten Unterstützung und das kostet Geld – eine Ressource, mit der die Schweiz vergleichsweise gut ausgestattet ist. Eine Chance, meinen die PwC-Berater: «Die kostspieligen Massnahmen werden über lange Zeit hinweg die europäischen Nachbarn dazu zwingen, ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung einzuschränken», schreiben sie in ihrem Thesenpapier. Dies sei eine Gelegenheit für die Schweiz, ihren Vorsprung in Schlüsselbereichen durch gezielte Förderung auszubauen. Es gelte, einen Diskurs darüber anzustossen, ob bestehende Förderstrukturen wie der Schweizerische Nationalfonds, Innosuisse oder kantonale und kommunale Programme ausgeweitet werden müssen.
Einen Schritt in diese Richtung hat der Bundesrat mit dem Impulsprogramm «Innovationskraft Schweiz» getan. Das Programm sieht erleichterte Bedingungen bei der Projektförderung vor, damit Unternehmen ihre Innovationskraft während der Pandemie aufrechterhalten können und ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig gesichert wird.

 

Mehr Nachhaltigkeit
Was für die Innovation gilt, gilt für den Klimaschutz erst recht: ohne Geld kein Fortschritt. Daran ändert auch der infolge der  Pandemie – vorübergehend – gesunkene CO2-Ausstoss nichts. Leere Kassen sind eine schlechte Voraussetzung, um die Jahrtausendaufgabe Klimawandel zu bekämpfen. «Es sei zu befürchten, dass einige Staaten ihre  Umweltschutzregulierungen zur kurzfristigen Ankurbelung der Wirtschaft lockern werden», so das PwC-Thesenpapier. Deshalb seien die Rahmenbedingungen zur Transformation der Wirtschaft hin zu einem nachhaltigeren, energieeffizienteren Modell zu evaluieren.
Das sieht Jochen Markard, Wissenschafter in der Gruppe für Nachhaltigkeit und Technologie an der ETH Zürich, ähnlich. Anstatt den notwendigen Strukturwandel hinauszuzögern, sollten wir die staatlichen Hilfsprogramme für einen nachhaltigen Neustart der Wirtschaft nutzen, argumentiert Markard im ETH-Zukunftsblog. «Corona-Hilfsprogramme können den Grundstein für einen nachhaltigen Strukturwandel legen. Wir sollten diese Chance nutzen.»

 


Autor: Hendrik Thielemann
Bildquelle: Istockphoto
Artikel aus der STZ: Ausgabe Februar 2021

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