Erneuerbarer Wasserstoff ahoi!
STZ, November 2020 - In den letzten Jahren wurden verschiedene Schiffe mit Solarantrieb präsentiert. Das funktioniert gut, vorausgesetzt die Sonne scheint. Um beispielsweise schlechtes Wetter bei längeren Fahrten auf dem Meer zu überbrücken, bedarf es eines Stromspeichers. Denkbar ist ein Speicher auf der Grundlage von Wasserstoff. Ein zugehöriges Pilotprojekt, unterstützt vom Bundesamt für Energie, liefert Grundlagen für den Einsatz von wasserstoffbasierten Energiespeichern für Schiffe.Der 2010 vorgestellte Katamaran PlanetSolar wird nicht vom Wind angetrieben, sondern von der Sonne, und das Boot sieht denn auch anders aus, als man es sich vorstellen mag: Segel gibt es keine, stattdessen einen Elektroantrieb. Der Strom für die zwei Elektromotoren stammt von Photovoltaikmodulen, welche die Oberfläche des Boots bedecken. Die PV-Module haben eine Leistung von 90 kWp, was 15 Dachanlagen auf Einfamilienhäusern gleichkommt. Das Solarboot mit dem auffälligen Design trug mit seiner Weltumrundung zwischen 2010 und 2012 als erstes solar angetriebenes Fahrzeug die Botschaft der nachhaltigen Energieerzeugung in die Welt. 2015 übernahm der frühere Lausanner Unternehmer Marco Simeoni den Solarkatamaran, gab ihm den Namen Race-for-Water (kurz R4W) und nutzt ihn seither für eine weltweite Kampagne gegen die Verschmutzung der Ozeane durch Plastikmüll.
Zertifizierung nach drei Jahren Praxistest
Der Solarkatamaran hatte schon reichlich Publicity. Eher im Hintergrund stand bisher das neuartige Speichersystem auf der Grundlage von Wasserstoff und Brennstoffzellen-Technologie, das ab 2017 im Boot eingebaut wurde: Seither kann der Solarstrom, der nicht für die Bordsysteme benötigt wird, in Form von Wasserstoff gespeichert werden, wenn das Boot im Hafen liegt und die Batterien voll sind. Zu dem Zweck wird Meerwasser entsalzt, gereinigt und durch einen Elektrolyseur in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespaltet. Der Wasserstoff wird in Druckflaschen gespeichert und über zwei Brennstoffzellen in Strom rückverwandelt, wenn das Boot Antriebsenergie benötigt. Das H2-basierte Energiespeichersystem ergänzt auf der R4W das Speichervolumen der Lithium-Ionen-Akkus. Er vergrössert die Reichweite des hochseetüchtigen Solarboots in Zeiten ohne Sonnenschein von zwei auf sechs Tage. Der Einbau des Systems dauerte von Februar 2017 bis Juli 2018. Mehrmals wurden seither Komponenten des ausgeklügelten Energiesystems optimiert. Im Januar 2020 erfolgte schliesslich die Zertifizierung durch die Organisation DNV-GL (Det Norsk Veritas Germanischer Lloyd), eine internationale Gesellschaft, die unter anderem technische Gutachten und Zertifizierungen im Schifffahrtsbereich vornimmt.
Ein schwimmender Solarspeicher
Einfach ausgedrückt könnte man sagen: Das Energiesystem der R4W kommt mit Meerwasser und Sonne aus. Die technische Umsetzung ist indes anspruchsvoll: Das Meerwasser wird zuerst entsalzt, demineralisiert und dann in zwei Elektrolyseuren mit Protonen-Austausch-Membran von je 5 kW Leistung mittels Solarstrom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespaltet. Der Wasserstoff wird getrocknet und mit einem ölfreien Kompressor von etwa 45 auf 350 bar komprimiert und in 24 Druckflaschen gespeichert.
Der durchschnittliche Verbrauch des Solarkatamarans für die Versorgung von Antrieb und Bordstromversorgung liegt bei 20 bis 40 kW. Reicht der aktuell produzierte Solarstrom dafür nicht aus und ist der Ladestand der Batterien zu tief, wird der gespeicherte Wasserstoff in Strom rückverwandelt: Dies geschieht mit zwei PEM-Brennstoffzellen (je 28 kWp Leistung; 95 V/300 A). Der Strom wird mit einem Gleichstrom-Gleichstrom-Wandler auf 400 V transformiert. Alle Komponenten des Wasserstoffspeichers finden in einem Container von 15 x 3,8 x 1,0 m Grösse Platz.
Der Umwandlungsschritt von Solarstrom zu Wasserstoff erfolgt mit einem Wirkungsgrad von 30 Prozent, die Rückverwandlung von Wasserstoff zu Strom mit 32 Prozent. Unter dem Strich werden also rund 10 Prozent des überschüssigen Solarstroms für den Antrieb genutzt. «Dieser Wert ist noch unbefriedigend, wir sehen aber eine grosse Zahl von Verbesserungsmöglichkeiten, um die 10 Prozent auf über 25 Prozent anzuheben», blickt Alexandre Closset in die Zukunft. Dazu gehören der Verzicht auf unnötige Umrichter, die Nutzung von Regen- statt Meerwasser (falls eine solche Anlage auf dem Festland eingesetzt wird), oder eine bessere Dimensionierung von Elektrolyseur und Brennstoffzelle.
Möglichst leicht, möglichst kompakt
Mit der Zertifizierung ist der Reifegrad für kommerzielle Anwendungen erreicht. Bis dies Realität wurde, war das Speichersystem auf einer Strecke von 28'000 nautischen Meilen (etwa 52'000 km) in Betrieb. In der Zeit konnten mit der Versuchsplattform eine Vielzahl von Erfahrungen gewonnen werden. «Wir haben mit der R4W gezeigt, wie unter den spezifischen Gegebenheiten eines hochseetüchtigen Boots eine autarke Produktions-, Speicher- und Umwandlungsplattform für grüne Energie zuverlässig arbeitet», sagt Alexandre Closset, Mitgründer und CEO des Fribourger Engineering-Unternehmens Swiss Hydrogen, welches das Projekt federführend umgesetzt hat.
Die chemische Speicherung von Strom in Form von Wasserstoff wird seit langem praktiziert. Auch die Umwandlung von Wasserstoff in Strom per Brennstoffzelle ist unterdessen gut erprobt. Die grosse Herausforderung im vorliegenden Projekt bestand darin, diesen komplexen, mehrstufigen Prozess unter den einschränkenden Bedingungen eines Bootes zu realisieren. Das Speichersystem musste möglichst leicht und platzsparend gebaut werden und dabei der unruhigen See, extremen Temperaturen und der salzhaltigen, feuchten Luft standhalten.
Umfassendes Sicherheitskonzept
Da ein alkalischer Elektrolyseur zu gross war, entschieden sich die Ingenieure für einen kompakten Protonen-Austausch-Membran-Elektrolyseur. Um Gewicht zu sparen, bestehen die 24 Wasserstoff-Speicher aus Karbonfaser, im Innern ausgekleidet mit einem Polymer. Das Gesamtgewicht der Speicher konnte so auf rund 2500 kg begrenzt werden. Darin finden insgesamt 165 kg nutzbarer Wasserstoff Platz, was in etwa 2,5 MWh an elektrischer Nutzenergie entspricht (für ein Brennstoffzellensystem mit 45 Prozent Wirkungsgrad). Alle Komponenten des Energiesystems (Entsalzungsanlage, Elektrolyseure, Kompressor, H2-Trockner, Wasserstoffspeicher, Brennstoffzellensystem) einschliesslich des Containers wiegen insgesamt 6400 kg. Zum Vergleich: Die Lithium-Ionen-Batterie, die in der R4W ebenfalls als Stromspeicher dient, wiegt rund 7400 kg, kann aber nur 750 kWh Strom aufnehmen. Viele Komponenten des Energiesystems sind Prototypen. Gemeinsam mit dem schwedischen Unternehmen PowerCell wurde für die vorliegende Anwendung eine Brennstoffzelle mit hoher Leistungsdichte entworfen. Wegen der Explosionsfähigkeit von Wasserstoff gelten für die ganze Anlage hohe Sicherheitsanforderungen. Jeder der 24 Wasserstoffspeicher ist mit drei thermischen Drucksicherungen ausgerüstet: Wenn im Zuge eines Brandes die Umgebungstemperatur 110 °C übersteigt, wird der Wasserstoff automatisch aus den Behältern entlassen. Zum umfassenden Sicherheitskonzept gehören Rauch- und Wasserstoffdetektoren sowie redundante Steuerungen für eine angemessene Belüftung der verschiedenen Systemkomponenten.
Pilot- und Demonstrationsprojekte des BFE
Die Erforschung des wasserstoffbasierten Energiespeichersystems auf dem Solarkatamaran R4W wurde vom Pilot- und Demonstrationsprogramm des Bundesamts für Energie unterstützt. Damit fördert das BFE die Entwicklung und Erprobung von innovativen Technologien, Lösungen und Ansätzen die einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz oder der Nutzung erneuerbarer Energien leisten. Gesuche um Finanzhilfe können jederzeit eingereicht werden.
www.bfe.admin.ch/pilotdemonstration
Dekarbonisierung der Schifffahrt
Wegen seiner hohen Energiedichte ist (nachhaltig produzierter) Wasserstoff eine bevorzugte Option zur Dekarbonisierung des Mobilitätssektors. Das gilt für den Strassenverkehr, in einer globalen Perspektive aber auch für die Schifffahrt. Der CO2-Ausstoss des Gütertransports auf dem Seeweg ist erheblich. Mit einer Milliarde Tonnen liegt er 50 Prozent über jenem des Frachtverkehrs in der Luft (so die Zahlen von OECD/IEA für das Jahr 2014). Mit Wasserstoff-Brennstoffzellen betriebene Elektromotoren sind eine mögliche Alternative. Die R4W bietet einen Fundus aus Erfahrungen, aus dem neue Projekte schöpfen können. Diese fliessen aktuell beispielsweise in das EU-finanzierte Projekt MARANDA ein. In dem vierjährigen Vorhaben soll bis 2021 ein Forschungsschiff, das in arktischen Gewässern operiert, mit einem Hybridsystem aus Brennstoffzellen und Batterien ausgerüstet werden, das die Bordstromversorgung speist und die Energie bereitstellt, um das Schiff während Messungen vibrationsfrei zu positionieren. Die Brennstoffzellen sind bei MARANDA gut dreimal leistungsfähiger als bei R4W. Im Unterschied zu R4W wird der Wasserstoff nicht auf dem Schiff hergestellt, sondern an Land getankt und in einem Container mit Speicherbehältern mitgeführt.
Anwendung auch auf Binnengewässern
Auch in den meisten anderen Anwendungen dürfte es zu aufwendig sein, den Wasserstoff auf dem Boot selbst zu produzieren. Interessant könnte die Anwendung von Wasserstoff in kleinen Fähren, Fischerbooten, Fahrgastschiffen und Schleppern sein. Diese Schiffstypen werden so eingesetzt, dass sie nach kurzer Einsatzdauer wieder an ihren Ausgangspunkt zurückkehren und dort von Neuem mit Wasserstoff betankt werden können.
Autor: Benedikt Vogel, im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE)
Bildquelle: BFH, Swiss Hydrogen
Artikel aus der STZ: Ausgabe November 2020
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