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Energiequelle mit Risikofaktor

STZ, September 2021 - Die Wärme im Inneren der Erde könnte uns dauerhaft mit Energie versorgen und im Verbund mit regenerativen Energiquellen fossile Brennstoffe überflüssig machen. Doch die Geothermie birgt Risiken und ist deshalb umstritten.

Freitag, 8. Dezember 2006: Es ist kurz vor sechs Uhr abends, als eine deutlich spürbare Erschütterung die Bewohner der Stadt Basel aus ihren vorweihnachtlichen Wochenendvorbereitungen aufrüttelt. Ein Erdbeben der Magnitude 3,4 auf der Richter-Skala. Das leichte Beben fordert keine Toten oder Verletzten, und auch grössere Sachschäden bleiben aus. Die Basler kommen mit dem Schrecken davon. Ein Erdbeben dieser Stärke ist nichts Ungewöhnliches. Weltweit registrieren die Seismologen rund 50'000 solcher Beben pro Jahr. Auch in der Schweiz ereignen sich im langjährigen Durchschnitt 23 Erdstösse pro Jahr mit einer Magnitude von 2,5 oder grösser. Das Besondere am Basler Beben: Es wurde von Menschen ausgelöst. Ursache war das Tiefengeothermie-Projekt «Deep Heat Mining Basel». Die Firma Geopower hatte einige Tage zuvor begonnen, Wasser in ein fünf Kilometer tiefes Bohrloch einzupressen, um künstlich ein unterirdisches Reservoir zur Produktion von Wärme und Strom zu schaffen. Die Pilotanlage sollte 2700 Haushalte mit Wärme und 10'000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Daraus wurde nichts. Das Projekt wurde nach dem Erdbeben vorläufig sistiert und später endgültig eingestellt. Sieben Jahre danach lief es in der Ostschweiz nicht viel besser: Auch die Arbeiten im Rahmen des Geothermie-Projektes St. Gallen lösten ein Erdbeben aus. Zwar bedeutete dies nicht wie in Basel das sofortige Ende des Projekts, doch letztlich ist es auch in St. Gallen nichts geworden mit der Tiefengeothermie.

Island heizt die Trottoirs mit Erdwärme

Andere Länder haben es da leichter. Zum Beispiel Island: Mehr als ein Viertel seines Strombedarfs deckt der Inselstaat durch Geothermie, bei der Fernwärme sind es gar 90 Prozent. Das ist Weltspitze. Ein Vergleich mit der Schweiz wäre unfair, denn auf der Vulkaninsel im Nordatlantik gibt es völlig andere Voraussetzungen. In wenigen Hundert Metern Tiefe herrschen Temperaturen von bis zu 350 °C. Heisses Wasser ist praktisch im Überfluss verfügbar – so viel, dass damit in Reykjavik Strassen und Trottoirs beheizt werden können. Während die von der Natur gesegneten Isländer warmen und trockenen Fusses durch ihre Hauptstadt flanieren, ist die Tiefengeothermie in der Schweiz nach den Pleiten in Basel und St. Gallen aufs Abstellgleis geraten. Dabei istdas Potenzial riesig: In einer Tiefe zwischen 4 und 5,5 Kilometern ist die Erde etwa 150 °C heiss. Was das bedeutet, rechnet der Verband Geothermie Schweiz vor: In diesem 1,5 Kilometer dicken Block unter der Schweiz sind 600 Millionen Gigawattstunden (GWh) Energie gespeichert. Selbst wenn davon nur ein Prozent nutzbar wäre, könnte die Schweiz damit 100 Jahre lang mit Strom versorgt werden.

Erdsonden im Trend

Dezentral und in kleinem Massstab spielt die Erdwärme auch hierzulande eine wachsende Rolle. In den letzten zehn Jahren hat sich die durch Geothermie erzeugte Heizleistung und Heizenergie verdoppelt. 2019 wurden in der Schweiz erstmals mehr als 4 TWh geothermischer Wärme produziert. Die installierte Wärmeleistung aller geothermischen Anlagen in der Schweiz stieg um 4,1 Prozent. Mehr als 80 Prozent der Wärme stammt aus Erdwärmesonden. Doch Grossprojekte gibt es nur vereinzelt. Zum Beispiel in Riehen (BS), wo bereits 1994 das erste geothermische Fernwärmenetz der Schweiz in Betriebging. Dort entnimmt die Wärmeverbund Riehen AG (WVR) aus einer Tiefe von gut 1500 Metern etwa 65 °C heisses Geothermiewasser und versorgt damit rund 9000 Kunden. Der WVR plant derzeit eine zweite Geothermieanlage, «um dem wachsenden Bedürfnis der Riehener Bevölkerung nach CO2-neutraler Fernwärme zu folgen und die Basler Energiestrategie umzusetzen», so das Unternehmen.

 

«In zehn Jahren wird hier ein Kraftwerk stehen, das Strom und Wärme produziert: sauber, erneuerbar und aus heimischer Quelle.»

Daniel Schafer, VRP Geo-Energie Suisse, zum Projekt Haute-Sorne

 

Widerstand gegen Projekt Haute-Sorne

Was die Stromerzeugung mittels Tiefengeothermie angeht, trägt vor allem das Projekt Haute-Sorne im Kanton Jura die Hoffnungen in der Schweiz. Dort will Geo-Energie Suisse ein Geothermiekraftwerk bauen, das jährlich mindestens 20 GWh Strom liefern soll. Gefördert wird das Projekt vom Bundesamt fürEnergie mit insgesamt 90 Millionen Franken. Doch das Vorhaben wird von Gegnern bisher erfolgreich ausgebremst. Die Bremsmanöver begannen 2015 mit einem Rekurs von fünf Nachbarn gegen die bereits erteilte Baubewilligung. Ein Jahr später folgte eine Volksinitiative für ein generelles Verbot der mitteltiefen und tiefen Geothermie im Kanton Jura. Inzwischen ist der Rekurs abgelehnt und die Initiative für ungültig erklärt worden. «In zehn Jahren wird hier ein Kraftwerk stehen, das Strom und Wärme produziert: sauber, erneuerbar und aus heimischer Quelle», erklärte Daniel Schafer, Verwaltungsratspräsident der Geo-Energie Suisse AG, in einer Ende 2019 aufgelegten Informationsbroschüre über das geplante Kraftwerk. Was Schafer damals nicht wissen konnte: Jetzt will der Kanton Jura das Projekt nicht mehr. Die Kantonsregierung kündigte an, ein Verfahren einzuleiten, das zur Aufhebung der Bewilligung führen könnte. Postwendend erklärte Geo-Energie Suisse, am Projekt festhalten zu wollen und drohte mit Klage, falls die Bewilligung entzogen würde. Seitdem herrscht Funkstille. 2050 mit 4,4 TWh Strom aus tiefer Geothermie. Die vom BFE Ende 2020 veröffentlichte Studie «Energieperspektiven 2050+» gibt sich vorsichtiger. Die Erkundung geeigneter Standorte sei zeitaufwendig und nicht immer erfolgreich, stellten die Verfasser fest. Sie nehmen deshalb an, dass bis 2035 nur die derzeit geplanten Projekte realisiert werden. Erst danach würden weitere Anlagen folgen, sodass die Stromerzeugung aus Geothermie 2050 bei 2 TWh liege. Ob nun 2 oder 4,4 TWh pro Jahr, eines ist klar: Eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur CO2-neutralen Stromproduktion bis zum Jahr 2050 kann die Tiefengeothermie nicht spielen. Dafür ist es bereits zu spät.

 

Autor: Hendrik Thielemann
Artikel aus der STZ: Ausgabe September 2021

 

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