Der Wettlauf um das weisse Öl
STZ, April 2023 - Von den Salzseen Südamerikas bis zum Oberrheingraben: Das Rennen um die globalen Lithiumreserven ist in vollem Gange. Die Teilnehmer: Staatsregierungen, Autokonzerne, Rohstoffriesen und Start-up-Unternehmer. Die Chinesen liegen klar vorn, doch Amerikaner und Europäer fahren die Ellenbogen aus.
«Heute beginnt die Ära der Industrialisierung des bolivianischen Lithiums», verkündete Boliviens Präsident Luis Arce am 23. Januar in La Paz. Zuvor hatte der Präsident des Staatskonzerns Yacimientos de Litio Boliviano (YLB), Carlos Ramos, ein Kooperationsabkommen für den Abbau und die Verarbeitung von Lithium unterzeichnet. Die zweite Unterschrift auf dem Papier kam einem Vertreter des Industriekonsortiums CBC – aus China.
Der Vertrag soll den Grundstein legen für die Erschliessung der gigantischen Lithiumvorkommen unter dem Salar de Uyuni, dem grössten Salzsee der Erde. Der 3650 m hoch gelegene Salar ist Teil des sogenannten Lithiumdreiecks, ein Gebiet im Dreiländereck Argentiniens, Boliviens und Chiles. Hier unter den Salzseen der argentinischen Puna, dem bolivianischen Altiplano und der chilenischen Atacamawüste lagern rund 60 Prozent der globalen Lithiumreserven.
«Wir haben keine Zeit zu verlieren», mahnte Arce bei der Unterzeichnung. Der Präsident will das silberweisse Leichtmetall so schnell wie möglich zu Geld machen. Der Zeitpunkt scheint günstig, denn seit 2020 hat sich der
Lithiumpreis verzehnfacht. Im November vergangenen Jahres erreichte er ein Rekordhoch von fast 85'000 US-Dollar pro Tonne. Und nach Angaben des United States Geological Service verfügt Bolivien mehr Lithium als jedes andere Land der Welt. Die Eile des Präsidenten ist nachvollziehbar: Mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 3500 US-Dollar pro Kopf ist sein Land das ärmste in Südamerika.
Präsident Arces Amtsvorgänger, der 2006 als erster indigener Präsident Boliviens vereidigte Evo Morales, wollte das Lithium auf eigene Faust ausbeuten, ohne ausländische Firmen. 2008 startete eine Pilotanlage für die Lithiumverarbeitung, aber der Betrieb harzte von Beginn an. Es fehlt an Know-how und Technologie. Schliesslich entschied man sich, doch Ausländer ins Boot zu holen. 2018 gründete YLB ein Joint Venture mit der deutschen ACI Systems Alemania GmbH (ACISA). Geplant war eine Förderung von jährlich 30'000 bis 40'000 Tonnen Lithiumhydroxid ab 2022.
Boliviens Präsident stürzt über Lithium
Der Deal mit den Deutschen wurde für Präsident Morales zum Bumerang. Das Abkommen löste Proteste aus, die sich auch dann noch fortsetzten, als Morales es wieder aufgekündigt hatte. Als der Präsident auch von Polizei und Armee keinen Rückhalt mehr bekam, trat er zurück und flüchtete vorübergehend ins Exil nach Mexiko. Morales bezeichnete die Ereignisse des Jahres 2019 als «Lithium-Putsch» und behauptete, die USA hätten die Fäden dabei gezogen. Ein Narrativ, das auch durch einen Tweet von Elon Musk genährt wurde. Der Tesla-Chef, dessen Vermögen ungefähr fünfmal so gross ist wie das Bruttoinlandsprodukt Boliviens, hatte in einer später gelöschten Kurznachricht geschrieben: «We will coup whoever we want.» Ob nun von den USA initiiert oder nicht: Der Umsturz war nicht von Dauer. Die vom Militär installierte liberal-konservative Übergangspräsidentin Jeanine Áñez wurde nach einer Neuwahl im Oktober 2020 von Luis Arce abgelöst. Arce gehört genau wie Morales der sozialistischen bolivianischen Partei an und war unter Präsident Morales Wirtschaftsminister des Landes.
Jetzt hat Arce also die Chinesen an den Uyuni-Salzsee geholt. Über die Details der Vereinbarung ist wenig bekannt. Nur dass die Chinesen mehr als eine Milliarde US-Dollar investieren wollen, um zwei Industriekomplexe zu errichten, von denen jeder 25'000 Tonnen Lithiumkarbonat pro Jahr produzieren soll, und zwar «Battery Grade» mit einer Mindestreinheit von 99,5 Prozent. Präsident Arce erklärte, dass Bolivien bereits 2025 Batterien aus einheimischem Lithium exportieren wolle.
China beherrscht den Markt
Experten bezweifeln, dass der ehrgeizige Plan realistisch ist. «Die Realität des Landes zeigt uns, dass dieser Traum unmöglich ist», sagte beispielsweise Héctor Córdova, der ehemalige Präsident der staatlichen bolivianischen Bergbaugesellschaft, der britischen Tageszeitung «The Guardian». «Uns fehlt die Basisindustrie, wir haben weder qualifiziertes Personal noch einen Plan für die industrielle Entwicklung in so kurzer Zeit», so Córdova weiter. Doch selbst wenn der Lithiumbergbau in Bolivien nicht so schnell aus den Startlöchern kommt; eines ist klar: Mit dem im Januar abgeschlossenen Deal hat China seine globale Vormachtstellung in Sachen Lithium und Batterieherstellung weiter ausgebaut. Schon jetzt kommt mehr als die Hälfte der Batterien aus dem Reich der Mitte und rund 60 Prozent des weltweit geförderten Lithiums werden in China verarbeitet.
«Kalifornien wird das Saudi-Arabien
des Lithiums sein.»
Gavin Newson, Gouverneur von Kalifornien
In den USA und in Europa betrachtet man das Gebaren der Lithiumgrossmacht China mit Argwohn. Zu kritisch ist der Rohstoff für die elektromobile Zukunft, als dass man die Kontrolle den Chinesen überlassen wollte. Längst haben auch die Amerikaner ihre Hand an den Reserven unter den Salzseen des Lithiumdreiecks –über Kooperationsvereinbarungen mit Chile und Argentinien. Die beiden weltweit grössten Lithiumproduzenten, der US-Konzern Albemarle und die Sociedad Química y Minera de Chile betreiben den Lithiumbergbau am Salar de Atacama gemeinsam.
Kalifornien will «Saudi-Arabien des Lithiums» werden
Albermale betreibt auch die einzige Lithiummine auf US-Boden. Wie viel Lithium diese Mine im US-Bundesstaat Nevada tatsächlich fördert, verrät der Konzern nicht. Schätzungen zufolge sind es rund 5000 Tonnen jährlich.
Peanuts im Vergleich zu dem, was im benachbarten Bundesstaat Kalifornien geplant ist: Am Salton Sea, nahe der Grenze zu Mexiko, soll schon bald genügend Lithium produziert werden, um ein Drittel des weltweiten Bedarfs zu decken. Kalifornien werde das «Saudi-Arabien des Lithiums» sein, schwärmte Gouverneur Gavin Newson vor Kurzem. Bis es so weit ist, dürfte aber noch eine Menge Wasser in den Becken des südamerikanischen Lithiumdreiecks verdunsten. Der Aufbau einer solchen Produktion könne gut und gerne ein Jahrzehnt dauern, so die Einschätzung des Lithiumexperten Joe Lowry von der Beratungsfirma Global Lithium LLC.
Und Europa? Hat lange geschlafen. Erst vor drei Jahren nahm die Europäische Kommission Lithium in ihre Liste der kritischen Rohstoffe auf. Die Brüsseler Bürokraten schätzen, dass Europa allein für die Batterien von Elektrofahrzeugen und zur Energiespeicherung bis 2030 bis zu 18-mal und bis 2050 bis zu 60-mal mehr Lithium benötigen werde. «Lithium und seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas», erkannte deren Chefin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Europa erwacht aus dem Dornröschenschlaf
Immerhin, jetzt läuten die Alarmglocken. Vor allem in Deutschland, wo die heimische Autoindustrie endlich merkt, dass ihre altgediente Cash-Cow – der Verbrenner – demnächst zur Schlachtbank geführt werden dürfte. Die Autokonzerne fürchten um ihre Einnahmen, denn die Batterie ist mit einem Wertschöpfungsanteil von bis zu 40 Prozent das wertvollste Bauteil eines Elektroautos.
Das deutsche Wirtschaftsministerium fördert deshalb die Batterieproduktion mit knapp drei Milliarden Euro, und die Pläne für Gigafactories schiessen wie Pilze aus dem Boden. Da fehlt nur noch das eigene Lithium zur Unabhängigkeit. Auch das könnte vorhanden sein. Denn in Deutschland lagern die grössten Lithiumvorkommen Europas. 3,2 Millionen Tonnen sind es laut US Geological Survey. Das meiste davon vermuten die Geologen unter dem Oberrheingraben.
«Lithium aus Geothermie
kann mittelfristig nur eine
Ergänzung darstellen.»
Fabian Nitschke, KIT
Hier kommt Horst Kreuter ins Spiel. Der Geologe ist Mitbegründer der Firma Vulcan Energy Resources. Kreuter schätzt, dass unter dem Oberrheingraben mehr Lithium zu holen ist als im «Saudi-Arabien des Lithiums» am kalifornischen Salton Sea. Vulcan Energy will diesen Schatz heben. Er schwimmt im Thermalwasser, das in Tiefen zwischen 2500 und 4500 m in den Poren des dortigen Buntstandsteins eingeschlossen ist. «Unsere Analyse hat ergeben, dass wir damit die Batterie und Automobilproduktion in Deutschland zu 100 Prozent versorgen können», behauptet Kreuter in einem Podcast der Ulmer Helmholtz-Gesellschaft für Batterieforschung.
Rund ein Viertel des Lithiums für Europa, so Kreuter, könnte aus dem Oberrheingraben kommen.
Deutschland hofft auf den Schatz vom Oberrhein
Rund 180 mg Lithium sind in jedem Liter des Thermalwassers gelöst. Die will Vulcan Energy herausfiltern, und zwar klimaneutral. Die dafür benötigte Energie soll das heisse Wasser gleich mitliefern. Vulcan Energy setzt dabei auf die direkte Lithiumextraktion (DLE). Das Wasser wird aus der Tiefe heraufgepumpt und durchläuft einen Sorbenten, der die Lithiumionen aus dem Wasser filtert. Anschliessend wird Frischwasser durch den Sorbenten geleitet. Das Ergebnis dieses Spülprozesses ist Lithiumchlorid in wässriger Lösung. Die Lösung wird eingedickt und in eine Raffinerie transportiert. Dort wird mittels Elektrolyse aus der Lithiumchloridlösung Lithiumhydroxid hergestellt. Der DLE-Prozess verbraucht nur die Hälfte der im Thermalwasser enthaltenen Energie. Den Rest will Vulcan Energy in Form von Wärme, Kälte oder Strom an lokale Energieversorger verkaufen.
Der Zeitplan, den sich Vulcan Energy für die Lithiumgewinnung im Oberrheingraben gesetzt hat, ist ambitioniert: «Wir haben uns vorgenommen, das Lithium dann liefern zu können, wenn die Batterieindustrie es braucht», sagt Kreuter. In zwei Phasen will Vulcan Energy die Produktion bis 2026 auf jährlich 40'000 Tonnen Lithiumhydroxid hochfahren. Das würde für rund eine Million Autobatterien reichen. Auch wenn das Lithium derzeit noch im Wasser mehrere Kilometer tief unter der Erde schwimmt: Es ist bereits verkauft. Für die ersten fünf Jahre der Produktion habe man bereits Verträge mit VW, Renault und Stellantis geschlossen, berichtet Kreuter.
Weniger optimistisch sind die Experten bei Horst Kreuters ehemaligem Arbeitgeber, dem Karlsruher Institut für Techologie (KIT). In einer Schätzung halten die KIT-Forscher eine jährliche Produktion von ungefähr 2600 bis 4700 Tonnen Lithiumkarbonat-Äquivalent für möglich, wenn alle relevanten Geothermiestandorte mit entsprechenden Anlagen ausgerüstet werden. Durch den Zubau weiterer Geothermiekraftwerke sei eine Steigerung der Fördermengen denkbar, allerdings dauere es mindestens fünf Jahre, bis ein neu geplantes Kraftwerk in Betrieb gehe. «Das Lithium aus der Geothermie kann mittelfristig also nur eine Ergänzung darstellen», so Fabian Nitschke vom Institut für Angewandte Geowissenschaften des KIT.
Autor: Hendrik Thielemann
Weitere Artikel aus der STZ
Die polytechnische Fachzeitschrift SWISS ENGINEERING STZ und das französischsprachige Pendant SWISS ENGINEERING RTS erscheinen zehn Mal jährlich. Das Magazin berichtet über Entwicklungen in der Branche, zeigt Trends auf und gibt Einblick in die Aktivitäten des Berufsverbands. Mitglieder erhalten die Fachzeitschrift samt Spezialausgaben Bau & Architektur, Automation, Energie, Maschinen und Bahntechnik in der Schweiz kostenlos nach Hause geliefert.
Hier finden Sie eine Auswahl an weiteren Artikeln