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Damit Verbrennung klimaverträglich gelingt

STZ, April 2023 - Mit der Elektrifizierung von Personenwagen und Nutzfahrzeugen verliert der Verbrennungsmotor an Bedeutung. Ausgedient haben Otto- und Dieselmotoren auf absehbare Zeit aber nicht, denn in bestimmten Anwendungen sind sie nur schwer substituierbar. Ein in den letzten Jahren neu aufgebautes Forschungszentrum an der Fachhochschule Nordwestschweiz erarbeitet Grundlagen, um Grossmotoren nachhaltiger zu machen. Im Zentrum stehen Verbrennungsprozesse mit klimaneutralen Treibstoffen.

Die Elektrifizierung des Verkehrs ist ein Megatrend. Die Zahl der verkauften Elektroautos steigt, der Ausbau der Ladeinfrastruktur wird vorangetrieben. Die öffentliche Diskussion rund um die Elektrifizierung dreht sich hauptsächlich um den Strassenverkehr. Doch diese Sichtweise greift zu kurz, wie Kai Herrmann, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) am Standort Windisch betont:

«Die Elektrifizierung ist in vielen Bereichen sinnvoll. Trotzdem dürften grosse, mit klimaneutralen Kraftstoffen betriebene Verbrennungsmotoren in einer Übergangsphase weiter eine Rolle spielen.» Dabei, so Herrmann weiter, geht es um Anwendungen, bei denen erneuerbare Energien nicht permanent zur Verfügung stehen beziehungsweise eine Speicherung nicht realisierbar ist. Beispielsweise Grossmotoren, die Frachtschiffe antreiben oder bei Bedarf die dezentrale Stromerzeugung sicherstellen, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint.

 

«Wir wollen mit unserer Forschung

einen Beitrag leisten,

die Treibhausgasemissionen

von Grossmotoren weiter zu senken.»

Kai Herrmann, FHNW

 

Verbrennungsforschung in Windisch
Kai Herrmann kommt aus der Welt der Grossmotoren. Bevor er 2016 Professor in Windisch wurde, arbeitete der an der ETH Zürich ausgebildete Maschinenbauingenieur unter anderem bei der Schweizer Tochter des finnischen Schiffsmotoren-Herstellers Wärtsilä. Über die Jahre pflegte er Kontakte zu der aus Wärtsilä hervorgegangenen Firma Winterthur Gas & Diesel (WinGD), zum Messtechnik-Unternehmen Kistler (Winterthur), zum Maschinenbau-Konzern Liebherr (Bulle) und zur FPT Motorenforschung AG, dem traditionsreichen Forschungs- und Entwicklungszentrum für Nutzfahrzeugmotoren in Arbon. Mit diesem Erfahrungshintergrund hat Kai Herrmann seit 2018 am FHNW-Institut für Thermo- und Fluid-Engineering (ITFE) an der Hochschule für Technik in Windisch ein Zentrum für Verbrennungsforschung aufgebaut. 

Die Besonderheit des Labors ist ein Prüfstand zur Untersuchung von Verbrennungsprozessen, wie sie in Motoren ablaufen. Das ITFE hatte den Flex-OeCoS – so der Name des Prüfstands – gemeinsam mit dem Laboratorium für Aerothermochemie und Verbrennungssysteme der ETH Zürich entwickelt. Die Forschungsanlage wurde 2019 nach Windisch transferiert und dort wesentlich weiterentwickelt. Seither dient sie der Erforschung von Brennverfahren, die es erlauben, erneuerbare Kraftstoffe effizient und weitgehend emissionsfrei einzusetzen. Diese Kraftstoffe werden mit erneuerbaren Energien synthetisch hergestellt und enthalten keine Energieträger fossilen Ursprungs. Bei Verwendung von grünem Wasserstoff, aber auch von grünem Ammoniak oder Methanol können die CO2-Emissionen aus dem Betrieb eines Verbrennungsmotors als klimaverträglich eingestuft werden. 

Umstellung auf Dual-Fuel-Betrieb
Der Forschungsschwerpunkt von Kai Herrmann und seinem Team liegt auf Grossmotoren, wie sie in Hochseefrachtschiffen zum Einsatz kommen. Gross bedeutet in diesem Fall: Motoren mit bis zu 110’000 PS (80 Megawatt) Leistung und einem Verbrauch von 30 Tonnen Treibstoff auf 100 Kilometer. Die neueste Generation dieser Motoren nutzt das Dual-Fuel-Brennverfahren: Als Treibstoff dient nicht mehr Schweröl oder Schiffsdiesel wie früher, sondern ein Erdgas-Luft-Gemisch, das über einen separaten Mechanismus gezündet wird. Die Zündung erfolgt direkt im Brennraum durch einen flüssigen Brennstoffstrahl (Pilot), zum Beispiel aus Diesel. Bei grösseren (2-Takt-) Motoren geschieht die Zündung nach demselben Prinzip in einer Vorkammer. Mit der Umstellung von Schweröl/Schiffsdiesel auf Erdgas wird der Ausstoss von Schadstoffen je nach Motortyp um 40 bis 80 Prozent (Russ) bzw. um bis zu 90 Prozent (NOx, SOx) und mehr gesenkt, der Ausstoss des Treibhausgases CO2 um immerhin 15 bis 20 Prozent.

Das ist ein bemerkenswerter Fortschritt, bedeutet mit Blick auf die Dekarbonisierung des Schiffsverkehrs auf den Weltmeeren aber doch nur einen Zwischenschritt. «Wir wollen mit unserer Forschung einen Beitrag leisten, die Treibhausgasemissionen von Grossmotoren weiter zu senken», sagt Kai Herrmann. «Das gelingt, wenn wir an den mit Erdgas betriebenen Motoren Verbesserungen erzielen, oder wenn wir die Motoren so weiterentwickeln, dass sie mit erneuerbaren, klimaneutralen Treibstoffen betrieben werden können.» Mit diesem Ziel führen Mitarbeitende um Kai Herrmann mehrere Forschungsprojekte durch. Sie werden durch internationale Programme und direkte Zuwendungen der Industrie (z. B. WinGD) finanziert, aber auch durch Beiträge des Bundesamtes für Energie BFE. Dabei wird auch mit deutschen Hochschulen wie der RWTH Aachen, dem KIT Karlsruhe und der Universität Stuttgart kooperiert, und es werden Doktorandinnen und Doktoranden ausgebildet.

Alternativkraftstoffe Ammoniak und Methanol
Zwei Projekte (PROGrESs, PREFER) widmen sich dem Problem der Vorentflammung. Gemeint ist damit eine Fehlzündung des Erdgas-Luft-Gemisches in Dual-Fuel-Motoren, hervorgerufen durch eine ungewollte Selbstentzündung von Schmieröl in der Brennkammer. Die Forscher wollen die Gründe für diese Fehlzündung herausfinden und so die Voraussetzung schaffen, dass Motorenhersteller die «Störfunktion » mit Blick auf einen optimalen Betrieb (Effizienz, Emissionen) mit geeigneten Massnahmen unterbinden können.

Bei der Erforschung von alternativen Treibstoffen legen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Windisch den Akzent auf Ammoniak und Methanol. Beide Stoffe dienen als Energieträger für Wasserstoff, können mit erneuerbaren Energien synthetisch hergestellt werden und lassen sich gut in flüssiger Form speichern. Synthetisches Methanol (CH3OH) stösst bei der Verbrennung nur so viel CO2 aus, wie bei der Herstellung aus der Atmosphäre entnommen wurde und gilt somit als klimafreundlich. Ammoniak (NH3) ist kohlenstofffrei, allerdings kann bei der Verbrennung das überaus klimaschädliche Treibhausgas N2O (Lachgas) entstehen.

 

«Die Elektrifizierung ist in vielen

Bereichen sinnvoll. Trotzdem dürften

grosse, mit klimaneutralen Kraftstoffen

betriebene Verbrennungsmotoren

in einer Übergangsphase

weiter eine Rolle spielen.»

Kai Herrmann

 

Zündwilligkeit erhöhen
Ammoniak ist Gegenstand eines FHNW-Forschungsschwerpunkts mit zwei Projekten (CREDO, N2Ooff). Im Rahmen dieser Projekte wird am Flex-OeCoS-Prüfstand unter anderem untersucht, wie sich emischbildung, Zündverzug, Flammenausbreitung und Wärmefreisetzung verhalten. Des Weiteren interessiert, bei welchen Verbrennungs-bedingungen die Entstehung von Lachgas möglichst unterbunden werden kann. Ferner wollen die Forschenden klären, wie die Zündwilligkeit des schwer entflammbaren Ammoniaks durch Beimischung von Wasserstoff erhöht werden kann. 

Im Rahmen dieses Forschungsschwerpunkts wird untersucht, ob sich in Dual-Fuel-Motoren das Erdgas durch CO2-reduzierte Kraftstoffe und der zur Zündung benötigte Pilot durch sauerstoffhaltigen synthetischen Dieselersatzstoff OME (Oxymethylendimethylether) ersetzen liesse. Mit OME liesse sich fossiler Treibstoff ganz eliminieren, und die Russbildung könnte unterbunden werden. Allerdings müsste aufgrund des geringeren Heizwerts von OME die Einspritzmenge angepasst werden, damit der Motor nach wie vor rund läuft, wie die FHNW-Forschenden zeigen konnten.

Grosses Interesse der Motorenhersteller
Am Prüfstand der Fachhochschule in Windisch lassen sich auch dieselmotorische Verbrennungsprozesse untersuchen. In einem Forschungsvorhaben (Adapted Fuels) wollten die Forscherinnen und Forscher wissen, wie sich die Zündunwilligkeit von Methanol überwinden lässt. In den Versuchen gelang dies mit einer Zumischung von 10 Prozent Diethylether (auch bekannt als Narkosestoff Äther). Diese Ergebnisse könnten längerfristig den Weg zu weniger klimaschädlichen Kraftstoffen für verbrennungsmotorische Anwendungen wie beispielsweise Wärme-Kraft-Kopplungsanlagen ebnen. In einem weiteren Projekt (GIHPCO) wird untersucht, ob und mit welchen Zündhilfen sich eine Hochdruckgas-Einspritzung (analog zu flüssigem Diesel) im Brennraum direkt entzünden liesse. Schliesslich laufen im Rahmen eines weiteren Forschungsprojekts (TurbFlow-PIVPOD) Untersuchungen über die für Zündvorgänge essenzielle Gemischbildung.

Noch lässt sich nicht abschätzen, welche Resultate aus der Verbrennungsforschung die grösste Bedeutung für die Antriebs- und Energiesysteme der Zukunft haben werden. Der Wettbewerb um die besten Ideen ist jedenfalls lanciert. Die Firma WinGD entwickelt Grossmotoren für Marine Antriebssysteme, welche mit Ammoniak bzw. Methanol betrieben werden. Die Firma Silent-Power AG (Cham) nutzt CO2-neutrales Methanol unter anderem in einer Wärme-Kraft-Kopplungsanlage zur Erzeugung von Wärme und Strom. Die Firma Casale (Lugano) will sich unter anderem mit Anlagen zur Herstellung von grünem Ammoniak profilieren. Kai Herrmann ist überzeugt, mit seiner Forschung einen Beitrag hin zu einer fossilfreien Energieversorgung zu leisten. «Das Interesse an unserer Forschung ist momentan gross», sagt der Verbrennungsexperte.
 

Besonderheit des Labors ist ein Prüfstand zur Untersuchung von Verbrennungsprozessen, wie sie in Motoren ablaufen. Das ITFE hatte den Flex-OeCoS – so der Name des Prüfstands – gemeinsam mit dem Laboratorium für Aerothermochemie und Verbrennungssysteme der ETH Zürich entwickelt. Die Forschungsanlage wurde 2019 nach Windisch transferiert und dort wesentlich weiterentwickelt. Seither dient sie der Erforschung von Brennverfahren, die es erlauben, erneuerbare Kraftstoffe effizient und weitgehend emissionsfrei einzusetzen. Diese Kraftstoffe werden mit erneuerbaren Energien synthetisch hergestellt und enthalten keine Energieträger fossilen Ursprungs. Bei Verwendung von grünem Wasserstoff, aber auch von grünem Ammoniak oder Methanol können die CO-Emissionen aus dem Betrieb eines Verbrennungsmotors als klimaverträglich eingestuft werden.

 

Autor: Benedikt Vogel im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) Artikel aus der STZ: Ausgabe April 2023

 

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