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Arbeitsintegration in der Praxis – eine Win-Win-Situation

STZ, Mai 2023 - Die Angebote für leistungsbeeinträchtigte Menschen und Unternehmen im ersten Arbeitsmarkt sind wenig bekannt. In Zusammenarbeit mit dem Kanton, der IV und Partnerunternehmen aus dem ersten Arbeitsmarkt bietet die Gesellschaft für Arbeit und Wohnen (gaw) Modelle für begleitete Arbeits- und Ausbildungsplätze an. Martin Müller, Geschäftsführer der gaw Gespräch mit der Fachgruppe Betriebsingenieure Swiss Engineering.

 

Herr Müller: Was unterscheidet der erste und der zweite Arbeitsmarkt? Wo bewegt sich die gaw?

Die gaw ist Teil des zweiten oder «ergänzenden» Arbeitsmarktes. In diesem werden begleitete Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit IV-Unterstützung angeboten. Der erste oder «allgemeine» Arbeitsmarkt wird durch Angebot und Nachfrage der freien Wirtschaft gesteuert. Dies schliesst Arbeitskräfte mit einer Behinderung, die die Anforderungen einer Stelle erfüllen, mit ein. Unser oberstes Ziel ist es, für solche Mitarbeitende eine Stelle zu finden und sie so im allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Hierfür bilden wir zum einen Lernende mit IV-Unterstützung aus und bereiten sie für den allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Konkret bieten wir begleitete zwei- und dreijährige berufliche Grundbildungen mit eidgenössischen Fähigkeitsausweisen (EFZ) oder Berufsatteste (EBA) an. Unser Fokus liegt in den Bereichen Büro, Hauswirtschaft, Gastronomie, Lebensmittel/-verkauf, Lebensmittelproduktion oder Informatik. Die Prüfung und der Abschluss ist derselbe, die Ausbildung hingegen findet in einem begleiteten Rahmen statt, welcher je nach Fall und Bedarf zeitlich angepasst wird. Zum anderen beschäftigen wir Mitarbeitende mit IV-Rente,  sogenannte begleitete Arbeitsplätze, die wir individuell fördern. Bei Eignung und Interesse können wir sie ebenfalls im allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren.

Wie wird Arbeitsintegration konkret umgesetzt?

In der Arbeitsintegration unterscheiden wir zwei Modelle: «Supported Education» und «Supported Employment», die sich beide in der Zusammenarbeit mit unseren Partnerunternehmen im allgemeinen Arbeitsmarkt bewährt haben.

Was steckt hinter diesen beiden Modellen?

Im Modell «Supported Education» findet die gesamte Ausbildung oder ein Teil der Ausbildung für unsere Lernenden in der Partnerunternehmung statt. Die gaw unterstützt dabei sowohl die auszubildende Person als auch die Ansprechperson des Ausbildungsbetriebes administrativ und beratend. Im Modell «Supported Employment» wird eine Mitarbeitende mit IV-Rente direkt beim Partnerunternehmen beschäftigt. Arbeitgeber und Coachingpartner bleibt bei der gaw. Auch dem Partnerunternehmen steht die gaw beratend zur Seite. Falls es wider Erwarten nicht funktioniert, kann die Mitarbeitende wieder zur gaw zurückkehren. In beiden Modellen bleibt eine Integration im allgemeinen Arbeitsmarkt das Ziel.

Was verstehen Sie unter Win-Win-Situation? Wo sehen Sie den Nutzen für ein Unternehmen?

Neben dem sozialen Engagement kann ein Unternehmen eine motivierte Arbeitskraft gewinnen, die alltägliche, wiederkehrende und zum Teil einfachere Aufgaben mit viel Freue übernimmt. Ich denke an die altbewährte interne Postverteilung, administrative Arbeiten, Ablagen oder Logistikarbeiten, die heute eine gut bezahlte Fachkraft selbst erledigen muss. Hier sehe ich aufgrund unserer erfolgreichen Praxisbeispiele viel Potenzial für die Entkräftung des aktuellen Fachkräftemangels. Ein anderer Fall ist die Unterstützung von beispielsweise langjährigen Mitarbeiter:innen in Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes, die plötzlich ein gesundheitliches Problem haben und ihr Tätigkeitsfeld nicht mehr ausüben können. Auch da können die gaw und die IV beratend unterstützen, damit die Mitarbeiter:innen ihren Job nicht verlieren. Der Person mit Behinderung gibt ein regulärer Arbeitsalltag Stabilität, eine Tagesstruktur, eine Aufgabe, für die sie verantwortlich sein darf - ein Gefühl, wertvoll zu sein, geschätzt zu werden und ein Teil der Arbeitswelt zu sein. Solche Mitarbeiter:innen sind verlässlich, pflichtbewusst und loyal. Es ist somit insgesamt ein Gewinn für die ganze Gesellschaft.

Was bereitet Ihnen persönlich die grösste Freude bei dem sozialen Engagement?

Mich freut es, wenn ich in unserem Alltag motivierte Mitarbeiter:innen sehe, die ihren Job gerne und gut machen und damit ihren wichtigen Beitrag zum Erfolg der gaw leisten, ob nun mit oder ohne Behinderung. Speziell freut es mich aber, wenn ich in einem Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes einen ehemaligen gaw-Mitarbeitenden oder -Lernenden treffe. Dann bin ich speziell stolz auf diesen Mitarbeitenden, auf seinen Arbeitgeber und auf die gaw, denn alle Drei haben zu diesem Integrationserfolg beigetragen.

 

Interview mit Martin Müller, Geschäftsführer der gaw
Bildquelle: gaw

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