angle-left «Unser Ziel ist ein echter Geothermiemarkt in der Schweiz»
zurück zur Übersicht

«Unser Ziel ist ein echter Geothermiemarkt in der Schweiz»

STZ, September 2021 - Im Interview mit Swiss Engineering RTS/STZ wirft die Präsidentin des Dachverbands Geothermie Schweiz, Nathalie Andenmatten Berthoud, einen Blick auf die Lage der Geothermie in der Schweiz.

Nathalie Andenmatten Berthoud, welches sind die wichtigsten Aufgaben von Geothermie Schweiz?

Der Dachverband hat den Auftrag, die nachhaltige Entwicklung der Geothermie in der Schweiz zu fördern. Obwohl die Erdwärme in der Schweiz fast überall mit einer neutralen CO2-Bilanz zur Verfügung steht, wird das Potenzial der Geothermie, abgesehen von Erdsonden, kaum erschlossen. Wir wollen die Entwicklung der Geothermie beschleunigen, indem wir ihre Sichtbarkeit steigern, den Start von Projekten erleichtern und Wissen über das Thema verbreiten. Unser Ziel ist es, die Wertschöpfungskette – insbesondere für die hydrothermale Geothermie in mittlerer Tiefe – zu entwickeln, damit in der Schweiz ein echter Geothermiemarkt entstehen kann.

 

Was können Sie als Dachverband tun, um die Kommunikation zum immer noch umstrittenen Thema Geothermie zu verbessern?

Zunächst einmal ist es wichtig, daran zu erinnern, dass es verschiedene Arten der Erdwärmenutzung gibt. Die Schweiz ist das Land mit der höchsten Dichte an Erdwärmesonden im Verhältnis zur Landesfläche. Das ist gut. Was die Geothermie in mittlerer Tiefe betrifft, die in unserem Land ein sehr hohes Entwicklungspotenzial hat, so können wir vorhandene Projekte besser und umfassender nutzen. Es geht darum, anhand bestehender Anlagen zu zeigen, dass die geothermische Energie eine kontinuierliche Energiequelle ist, die mit bewährter Technologie zugänglich ist – ohne Gefahr und ohne Schaden für die Umwelt. Was die Tiefengeothermie betrifft, ist es wichtig, Forschungsprojekte und Pilotanlagen zu fördern, um dieses grosse natürliche Energiepotenzial zu erschliessen. In diesem Sinne und um den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren – Behörden, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft – zu fördern, veranstalten wir am 21. September in Freiburg das Geothermie-Forum.

 

Nach dem Nein des Souveräns zum CO2-Gesetz stehen der Geothermie weiterhin maximal 30 Millionen Franken pro Jahr für Projekte zur Verfügung. Ist das Ihrer Meinung nach ausreichend?

Sagen wir, es reicht für den Moment aus und es erlaubt, die Dynamik in Gang zu setzen. Angesichts der Zahl in Vorbereitung befindlicher Projekte wird es jedoch schon bald nicht mehr ausreichen. Geht man von durchschnittlichen Kosten für eine hydrothermale Geothermieanlage in Höhe von 22 Millionen CHF aus, von denen 60 Prozent durch Subventionen gedeckt sind, so entspricht dies etwas mehr als zwei Anlagen pro Jahr. Studien zeigen, dass es realistisch ist, im Jahr 2050 einen Viertel des Wärmebedarfs in der Schweiz mit geothermischer Energie und ohne CO2-Emissionen zu decken. Um dies zu erreichen, wären durchschnittlich zehn Anlagen pro Jahr erforderlich. Dieser Betrag sollte daher erhöht werden. Oder es sollten langfristig und für eine grössere Anzahl von Projekten geeignetere Massnahmen erwogen werden, beispielsweise Risikogarantien und attraktive Geschäftsmodelle für Investmentfonds.

 

Wie kann die Sicherheit der Tiefengeothermie angesichts seismischer Risiken gewährleistet werden?

Zunächst einmal hängt das Erdbebenrisiko von den geologischen Gegebenheiten und den verwendeten Technologien ab und ist daher nicht mit der Geothermie verbunden. Viele mitteltiefe hydrothermale Projekte in natürlichen Reservoiren belegen dies, beispielsweise die Anlagen in Riehen (Basel) und Davos sowie zahlreiche Anlagen in den Grossräumen Paris und München. Sie unterliegen keinem seismischen Risiko. Für Projekte, die ein Risiko darstellen könnten, gibt es heute Methoden, die es ermöglichen, auch die geringste seismische Aktivität zu erkennen und unter Kontrolle zu halten.

 

Wie sehen Sie die künftige Entwicklung der Geothermie in der Schweiz und in der Welt?

In Ländern, in denen die Nutzung der Geothermie nahe liegt, wie Island oder der Türkei, entwickelt sie sich bereits schnell. Die Entwicklung beschleunigt sich in den Ländern, die aufgrund ihrer Bergbau- und Erdöltradition mit ihrem Untergrund vertraut sind und die vom Übergang von der Öl- und Gasindustrie zur Geothermie profitieren, vor allem die USA, Grossbritannien, die Niederlande und Norwegen. Länder wie die Schweiz folgen in ihrem eigenen Tempo. Allerdings bin ich recht optimistisch, denn es braucht nur ein oder zwei erfolgreiche Projekte in unserem Land, damit es losgeht und der Mangel an Arbeitskräften, Know-how und Bohranlagen schnell zu dem wird, was uns Sorgen macht. Schliesslich werden die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem wachsenden Kühlungsbedarf dazu beitragen, die Entwicklung der Geothermie in der Schweiz und weltweit zu beschleunigen. Mittelfristig könnten neue Bohr- und Wärmeaustauschtechniken zwischen Boden und Oberfläche den Zugang zu tieferen und damit wärmeren Wärmequellen in grossem Umfang ermöglichen. Zahlreiche Forschungsprojekte befassen sich derzeit mit diesem Thema.

Zur Person: Nathalie Andenmatten Berthoud
Nathalie Andenmatten Berthoud ist seit 2014 Mitglied des Vorstands von Geothermie Schweiz und seit 2019 dessen Präsidentin. Ausserdem leitet sie seit 2013 das Geothermieprogramm des Kantons Genf.

 

Interview: Roland Keller, Chefredaktor Swiss Engineering RTS
Bildquelle: Geothermie Schweiz
Artikel aus der STZ: Ausgabe September 2021

Hinweis: Die ausführlichere Originalversion des Interviews mit Nathalie Andenmatten Berthoud in französischer Sprache finden Sie in der Swiss Engineering RTS, 09/2021.

Weitere Artikel aus der STZ
Die polytechnische Fachzeitschrift SWISS ENGINEERING STZ und das französischsprachige Pendant SWISS ENGINEERING RTS erscheinen zehn Mal jährlich. Das Magazin berichtet über Entwicklungen in der Branche, zeigt Trends auf und gibt Einblick in die Aktivitäten des Berufsverbands. Mitglieder erhalten die Fachzeitschrift samt Spezialausgaben Bau & Architektur, Automation, Energie, Maschinen und Bahntechnik in der Schweiz kostenlos nach Hause geliefert.
Hier finden Sie eine Auswahl an weiteren Artikeln